Montagsinterview: Die Eine-Welt-Laden-Frau: "Fairtrade-Schokolade hab ich nur gegessen, weil es richtig war"

Krista Nowak eröffnete vor 20 Jahren den ersten Eine-Welt-Laden Ostberlins. Noch wichtiger als der Verkauf fair gehandelter Produkte ist ihr die Aufklärung über die Ungerechtigkeiten des globalen Handels.

"Hier an diesem Tisch haben wir die Gründung des Ladens beschlossen. Solange ich mir die Miete noch leisten kann, bleibe ich und bestimme mit, wie sich das Viertel verändert": Krista Nowak in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg Bild: Detlev Schilke

taz: Frau Nowak, Sie kämpfen seit 20 Jahren mit ihrem Eine-Welt-Laden für fairen Welthandel. Wie gerecht oder ungerecht finden Sie die Welt im Moment?

Krista Nowak: Es wird gleichzeitig schlimmer und besser. Es ist eine Katastrophe, wie viel mit Waffenhandel verdient wird, Organ- und Menschenhandel sowie Prostitution haben zugenommen. Bei der Textilproduktion ist es katastrophal ungerecht, aber auch klimaschädlich und unökologisch. Textilien wie etwa Jeansteile werden ja für einzelne Fertigungsschritte hin- und hergeflogen. Aber auf der anderen Seite wächst die Sensibilität und das Bewusstsein der Leute.

Die Ausgebildete: Krista Nowak, 53, wuchs in Sachsen-Anhalt auf. Weil ihre Eltern kirchlich engagiert waren, durfte sie kein Abitur machen. "Ich hab das mit einer Menge Ausbildungen kompensiert", erklärt Nowak ihren Ausbildungsmarathon zur Apothekenfacharbeiterin, Psychiatriediakonin, Heilerziehungspflegerin und Musiktherapeutin.

Die Studierte: 1990 wurde Nowak rehabilitiert und erhielt ohne Abitur Zugang zur Humboldt-Universität. Mit 43 Jahren begann sie, Erziehungswissenschaften und Gender Studies zu studieren.

Die Ladengründerin: Den Eine-Welt-Laden Baobab eröffneten Nowak und ihre entwicklungspolitische Gruppe 1990 in einem besetzten Haus in Prenzlauer Berg. An der Christburger Straße 38 werden fair gehandelte Produkte und Infoveranstaltungen für Schulen angeboten. (Infos unter baobab-infoladen.de). Ihren Lebensunterhalt verdient Nowak als Fachlehrerin für geistig Behinderte und als Fairhandelsberaterin. Sie hat drei erwachsene Töchter und wohnt mit ihrem Lebensgefährten hundert Meter entfernt vom Laden.

Die Stiftung: Seit Wendezeiten saß ihre Gruppe mit am Entwicklungspolitschen Runden Tisch, der 1994 die Stiftung Nord-Süd-Brücken gründete - mit 30 Millionen Mark aus DDR-Spendengeldern für internationale Solidaritätsprojekte. Die Stiftung unterstützt entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisationen in den neuen Bundesländern.

Der Kaffee: Das Projekt Stadtkaffee Berliner Bohne (fair gehandelt) hat Nowak 2006 mit initiiert.

Woran machen Sie das fest?

Zum Beispiel an der Berlinale in diesem Jahr. Wenn man sich das Programm angeguckt hat - und das spiegelt ja auch die Gesellschaften wider -, dann fiel auf, dass man sich immer mehr auch kritisch mit den Gesellschaften auseinandersetzt und die Finger in die Wunden legt. So gab es zum Beispiel einen Film über die skrupellose Bananenproduktion eines amerikanischen Konzerns. So eine Offenheit für kritische Themen wäre vor zehn Jahren auf so einem Filmfestival nicht möglich gewesen.

Aber sind das nicht Randphänomene, Filme für ein kritisches Publikum, das in der Minderheit ist?

Nein, ich glaube, das kritische Bewusstsein der Leute wächst. Vor allem bei den Jugendlichen wollen sich viele freiwillig engagieren. Das sind inzwischen oft Kinder oder sogar Enkel der Leute, die die Eine-Welt-Läden gegründet haben. Es ist nicht so, dass die junge Generation nur Konsum im Kopf hat. Die Aufklärung nimmt ja auch zu, es gibt mehr Sendungen im Fernsehen, mehr Artikel in Zeitungen zu den Themen.

Bio-, Öko- und Fairtrade-Produkte sind in. Haben Sie damit erreicht, was Sie mit Ihrem Eine-Welt-Laden wollten?

Ich glaube schon, dass wir den Weg dafür geebnet haben. Aber da schwingt natürlich derzeit ein Biobewusstsein mit, das man sich genau angucken muss. Viele Leute denken: Bio ist gleich öko ist gleich fair. Es ist auch eine egoistische Bewegung, sich was Gesundes zu tun, aber Umwelt und soziale Standards sind egal. Ich erinnere mich, dass es vor einiger Zeit eine Pflaumenschwemme in Brandenburg gab, aber der Biosupermarkt hatte Pflaumen aus Neuseeland. Als ich die Mitarbeiter darauf angesprochen habe, war denen das gar nicht klar.

Wie ist das für Sie, dass jetzt auch Discounter auf der Welle mitschwimmen und Fairtrade-Produkte anbieten. Ist das noch fair?

Wir sehen natürlich "Fairtrade" anders als die Discounter. Wir haben da strenge soziale Standards von der Produktion bis zum Verkauf. Es passt natürlich nicht zusammen, dass Lidl Produkte verkauft, auf denen "fair" steht und sich die Mitarbeiter dort nicht gewerkschaftlich organisieren dürfen. Da wollen die sich natürlich ein faires Mäntelchen umhängen. Aber es gibt auch Supermärkte, die haben Gepa-Produkte, das ist eine zertifizierte Importorganisation, von der wir in unserem Laden auch Produkte verkaufen.

Neben dem Verkauf fair gehandelter Produkte klären Sie die Leute seit 20 Jahren über gerechten Handel auf. Jetzt kommen die Supermärkte, verdienen mit dem Label "fair" und nehmen Ihnen die Kunden weg …

… es ist natürlich ein bisschen schade, dass wir nicht den Umsatz haben.

"Ein bisschen schade?" Macht Sie das nicht auch sauer?

Bei den Gepa-Produkten ist das ja im Sinne der Produzenten, die haben auf jeden Fall den Absatz. Und unser Ziel ist ja, dass die ihre Produkte verkaufen und davon leben können. Und ich kann natürlich auch die Kunden ein Stück weit verstehen, die sagen, ich würde gern bei euch Produkte kaufen, aber im Supermarkt bin ich schneller.

Und Sie? Kaufen Sie ausschließlich ökologische und fair gehandelte Produkte?

Für meine Familie mussten wir kürzlich eine Waschmaschine kaufen, und da gucken wir dann schon. Wir wollten eine in Deutschland produzierte, da bleiben nur Siemens und Miele. Siemens kam nicht infrage, die haben in Staudammprojekten und Atomkraftwerken ihre Hände drin. Da blieb dann nur die teure Miele, die konnten wir nur auf Kredit kaufen.

Und bei Lebensmitteln? Sind Sie da auch so konsequent?

Ich bin da nicht so dogmatisch, und als meine Kinder noch zu Hause gelebt haben, habe ich es natürlich finanziell nicht geschafft, nur Bio- und Fairtrade-Produkte zu kaufen. Aber ich merke auch, wie sich mein Geschmackssinn verändert. Für mich aus dem Osten war Milka anfangs das Größte, aber ich wollte aus Überzeugung Fairtrade-Schokolade essen. Die hat mir am Anfang nicht geschmeckt, ich hab sie nur gegessen, weil es richtig war. In Milka ist vor allem Zucker drin, in der Fairtrade in erster Linie Kakao. Wenn ich heute konventionelle Schokolade esse, schmeckt mir die nicht mehr. Darum geht es auch beim Fairtrade: Es soll nicht nur fair gehandelt werden, sondern es sollen auch hochwertige Produkte sein.

Sie sind in der DDR aufgewachsen und waren in Kirchenkreisen aktiv. Kommt daher Ihr Gerechtigkeitssinn?

Ich bin schon in einem kirchlichen Umfeld aufgewachsen, also auch kritisch gegenüber der DDR. Aber ich wurde auch sehr durch die Schule beeinflusst und habe einiges, was zu Hause kritisiert wurde, lange nicht glauben wollen. Ich war immer für den Sozialismus, das bin ich vielleicht heute auch noch. Aber das, was ich erlebt habe, war nicht gut. Deshalb habe ich auch immer nach anderen Modellen geguckt und verglichen.

Für viele Westlinke war in den 80ern Nicaragua das Modell, wo die sandinistische Revolution gesiegt hatte. Für Sie auch?

Ja. Ich war in einer entwicklungspolitischen Gruppe aktiv, und wir hatten Kontakte über die Westberliner Gruppen, die wir kannten. 1988 kam auch Besuch aus Nicaragua, was natürlich illegal war. Das war total spannend, auch für meine Kinder, weil da jemand aus einem Land kam, das total weit weg ist.

Offiziell gab es in der DDR eine große Solidaritätsbekundung für Nicaragua. Aber selbst organisierten Soligruppen stand die Regierung kritisch gegenüber, oder?

In Nicaragua ist die neue Regierung relativ schnell positiv mit ihren eigenen Fehlern umgegangen. Das war es, was wir uns damals auch für die DDR sehr gewünscht hätten. Von daher waren unsere Treffen nicht im Sinne der Regierung. Aber wir haben das eher locker genommen, auch als wir wussten, dass in unserer Gruppe ein Spitzel drin war. Wenn es allerdings kritisch wurde, habe ich mich wegen meiner Kinder rausgehalten. Ich bin zum Beispiel nicht mit zu Demonstrationen gegangen, da wurde ab und zu mal einer von unserer Gruppe abgeführt und ein, zwei Tage irgendwo festgehalten.

Nach der Wiedervereinigung waren Sie für die internationalen Organisationen, mit denen Sie zu DDR-Zeiten kooperiert hatten, plötzlich nicht mehr das "sozialistische Ausland", sondern Teil der kapitalistischen BRD. Wie war das für Sie?

Das war natürlich ein langer Prozess. Wir waren ja nicht damit einverstanden, dass die DDR angeschlossen wurde, und haben für einen besseren Sozialismus gekämpft. Deshalb haben wir das Ossi-Image auch lange gepflegt, während wir von außen nun plötzlich die Wessis waren, Geld hatten und auch mehr Macht als vorher. Zumindest mehr Macht, in die Öffentlichkeit zu gehen oder mit unseren Anliegen in Zeitungen oder ins Fernsehen zu kommen.

Ihr Eine-Welt-Laden war der erste in Ostberlin. Zu DDR-Zeiten hatten Sie viele Informationen und Kontakte über West-Soligruppen bekommen. Mussten Sie sich von denen nach der Wende erst einmal emanzipieren?

Oh ja. Die Westgruppen wussten, wie Entwicklungspolitik funktioniert, die wussten, wie man zu Demos geht, und die wussten, in welchem Block man steht. Da haben wir relativ schnell gesagt, dass wir das so nicht wollen: Wir sind anders, mit einer ganz anderen Sozialisation.

Was genau war bei Ihnen so anders?

Wir hatten zum Beispiel kaum schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht - wenn man mal die ganze Wendegeschichte rausnimmt, das war eine Sondersituation. Aber ich hab ganz oft gefragt: "Warum seid ihr so aggressiv, gerade auf Demonstrationen?" Da haben sie halt gesagt, sie seien so oft verprügelt worden und hätten so oft Pferdehufe ins Kreuz gekriegt. Das baut innerlich so einen Hass auf. Den haben wir aber nicht gehabt und konnten den auch nicht übernehmen von irgendjemandem.

Welche Erfahrungen haben Sie denn mit der Polizei gemacht?

Wir haben gerade in den 90er-Jahren ziemlich gut mit der Polizei zusammengearbeitet, weil wir gleich von Beginn des Ladens an von der rechten Szene "besucht" wurden und der Weltladen 1995 von Rechten angezündet wurde. Außerdem gab es bei uns in den 90er-Jahren nicht so eine Lethargie wie bei den Westlinken. Der Sozialismus war zusammengebrochen, in Lateinamerika brach alles wieder ein, die Ideale waren dahin. Bei uns dagegen war Aufbruchsstimmung. Wir haben nie zurückgeguckt. Ich bedaure auch nicht, dass der Laden nicht mehr das ist, was er mal war.

Wieso? Was hat sich denn in den 20 Jahren verändert?

Ein Punkt hat sich nicht geändert: Der Slogan "Die herrschenden Zustände nicht unwidersprochen hinnehmen" hört sich zwar sehr nach den 90er-Jahren an, aber das ist nach wie vor unser Ziel. Wir waren anfangs sehr plakativ, da war natürlich viel Revolutionsromantik dabei, gerade in den 80er-Jahren, als für El Salvador Geld für Waffen gesammelt wurde. Da möchte sich heute niemand mehr dran erinnern. Heute ist völlig klar, dass auf der ganzen Welt so viele Waffen existieren und man damit nicht unbedingt etwas erreichen kann.

Womit kann man denn etwas erreichen?

Es hat schon eine Wirkung, wenn man sich als Verbraucher an ökologischen, ethischen und sozialen Standards orientiert, also an dem, was man ökofair nennt. Ebenso wichtig wie der Verkauf fair gehandelter Produkte ist uns die Aufklärung. Wir machen Veranstaltungen an Schulen und erklären den Schülern die Mechanismen von Welthandel, bei den Kleineren am Beispiel von Bananen oder Kakao oder Schokolade, bei den Älteren eher über fair gehandelte Kondome oder Fußbälle. Wir versuchen immer zu vermitteln: Ihr habt eine Handlungsoption, ihr seid dem nicht ausgeliefert. Ihr könnt was tun!

Das heißt, Sie sind eine unerschütterliche Idealistin, die ihren Optimismus nie verliert?

Als die Rechten uns den Laden abgebrannt haben, waren wir noch nicht mal richtig versichert. Mit viel Solidarität und Spenden haben wir es geschafft, alles wieder aufzubauen, aber danach habe ich gesagt: "So was schaff ich nicht noch ein zweites Mal in meinem Leben." Was mich jetzt ein bisschen erschüttert, ist, dass ich nicht weiß, ob ich hier noch lange wohnen kann, da das Haus gerade verkauft wurde. Ich wohne seit Anfang der 80er-Jahre hier in der Wohnung, hier an diesem Tisch haben wir uns immer getroffen und die Gründung des Ladens beschlossen. Und auch wenn die mir nicht kündigen: Mit meinem alten Mietvertrag wohne ich jetzt noch günstig, aber die Mieten werden immer höher, auch durch die Politik des Senats, die Mietpreisbindung aufzuweichen. Selbst wenn ich nicht rausgesetzt werde, kann ich spätestens in ein paar Jahren an meine finanzielle Grenzen kommen. Das wird richtig schlimm für mich.

Wie empfinden Sie die Veränderungen in Prenzlauer Berg?

Die Sanierungen fand ich schon ganz toll, vor zwanzig Jahren war hier nichts saniert, überall waren Einschusslöcher vom Zweiten Weltkrieg. Das Viertel rund um die Winsstraße ist immer noch sehr gemischt, noch wesentlich unbürgerlicher als die angrenzenden Viertel. Hier wohnen noch viele Leute, die ich schon lange kenne. Aber es gibt auch Freunde, die anderswo hinziehen, weil sie sich hier nicht mehr wohlfühlen. Das ist nicht mein Ding. Solange ich mir die Miete noch leisten kann, bleibe ich hier und bestimme mit, wie sich das Viertel verändert.

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