Montagsinterview: Sinan Al-Kuri: "Ich wollte eben Ausländer sein"

Der Schauspieler Al-Kuri spielt im Theater Türken und Araber - dabei ist der 30-Jährige in Deutschland aufgewachsen, bei einer deutschen Adoptivmutter. Die Begenung mit seinen leiblichen Eltern in Dubai ziegt jetzt ein Film.

"Es gibt Momente, wo ich sehr selbstmitleidig sein kann." Bild: Julia Baier

taz: Herr Al-Kuri, Sie stehen derzeit in drei Theaterstücken auf der Bühne und spielen da meistens Türken oder Araber. Wieso eigentlich?

Sinan Al-Kuri: Wenn man Ausländer ist oder eine irgendwie andere ethnische Herkunft hat, wird man eben meistens auch so wahrgenommen.

War das schon immer so?

Beim Theater hat das eigentlich erst angefangen, seit Stücke mit Migrationsthemen da so einen Boom haben. Aber beim Film und beim Fernsehen war das schon immer so. Ich habe sogar mal einen Job als Synchronsprecher gekriegt, weil da jemand mit arabischem Akzent gefragt war. Den habe ich gar nicht, ich kann ja kaum Arabisch. Aber wegen meines arabischen Backgrounds - den ich ja auch nicht wirklich habe - habe ich den Job trotzdem bekommen. Das zeigt die Grundeinstellung, die dahinter steht. Eigentlich ein Witz, denn ich hab ja mit all dem nichts zu tun.

Ärgert Sie das?

Sinan Al-Kuri wird 1979 als viertes Kind einer arabischen Familie in Mossul im Irak geboren. Statt bei seinen leiblichen Eltern wächst Sinan als eine Art innerfamiliäres Adoptivkind beim Bruder seiner Mutter und dessen deutscher Ehefrau in Mossul auf, die keine eigenen Kinder haben können. Als er drei Jahre alt ist, verlässt seine deutsche Adoptivmutter ihren Ehemann und den Irak und kehrt nach Deutschland zurück. Sie nimmt Sinan mit.

Al-Kuri wächst mit seiner Adoptivmutter in der Nähe von Darmstadt auf. Er arbeitet als Film-, Fernseh- und Theaterschauspieler und an einer Karriere als Regisseur. Seit 2001 lebt Al-Kuri in Berlin. Hier steht er derzeit in drei Produktionen auf der Bühne: "Arabboy" und "Sisters", beides im "Heimathafen" Neukölln, und "Ayla, Alis Tochter" im Atze Musiktheater.

Im Jahr 2007 sieht Sinan Al-Kuri zum ersten Mal seine leiblichen Eltern und seine Geschwister wieder, die unterdessen aus dem Irak geflüchtet sind und in Dubai leben. Sie hatten immer wieder Kontakt zu ihm gesucht. Al-Kuri hat ihre Briefe zuvor aber nie beantwortet.

Über die Begegnung mit der Familie drehte der Regisseur Christoph Heller die Doku "Mein Vater. Mein Onkel." Der Film kommt diese Woche in die Kinos. Premiere im ist am Mittwoch im Moviemento.

Es wäre schon cool, mal einen Tom oder einen Jens zu spielen. Eigentlich nervt es mich, so festgelegt zu werden. Das ist eine Entwicklung, die eher rückschrittlich ist. Aber ich finde die Stücke, in denen ich zurzeit spiele, sehr toll und interessant. Sie sind ja alle von der gleichen Regisseurin: Nicole Oder. Die Zusammenarbeit mit ihr ist großartig.

Rollen werden doch vermutlich so besetzt, weil Regisseure denken, dass Schauspieler mit Migrationshintergrund sich besser in entsprechende Figuren hineinversetzen können. Trifft das bei Ihnen denn zu?

Nein. Null. Ich lerne für die Stücke Türkisch. Ich lerne, wie man sich in einer türkischen Familie begrüßt, wie man miteinander umgeht. Aber jemand wie der türkische Vater in "Ayla, Alis Tochter", der über einen Ehrenmord nachdenkt, ist mir derartig fern, dass es schon deshalb wieder spannend ist, ihn zu spielen. Das macht Spaß.

Was wäre denn eine Rolle, von der Sie selbst sagen würden, dass sie Ihnen auf den Leib geschneidert ist?

Die müsste vielleicht eher was mit neueren Migrationsfragen zu tun haben - wo es darum geht, dass man zwar als Ausländer wahrgenommen wird, vom Gefühl her aber keiner ist.

Das Thema beschäftigt Sie also schon?

Zwangsläufig. Ich krieg's ja mit! Wann immer ich eine neue Freundin hatte und deren Eltern kennenlernte, hieß es irgendwann: "Oh, ein Araber! Nicht, dass der dich irgendwann mitnimmt und du ein Kopftuch tragen musst!" Oder man merkt, dass man am Flughafen ein bisschen genauer gecheckt wird als andere. Es gibt viele Momente, in denen einem gezeigt wird, dass man anderer Abstammung ist.

Wann haben Sie angefangen, das zu bemerken?

Als ich ganz klein war, war das kein Thema. Aber so ab der frühen Pubertät fing es an, dass ich es von außen gezeigt bekommen habe, dass ich irgendwie anders bin. Dann begannen die verschiedenen Phasen der Auseinandersetzung. Zunächst will man so wie alle anderen sein: Ich bin doch kein Ausländer! Dann kommt genau die Gegenbewegung: Okay, dann bin ich halt Ausländer! Mit schwachsinnigen Vorbildern und so …

Wer denn zum Beispiel?

Keine Prominenten. Ich war auf einem Gymnasium, und wir haben uns den Schulhof geteilt mit einer anderen Schule, auf der nur Ausländer waren. Das waren die einzigen Rollenvorbilder, die ich hatte, und das heißt: Ich wurde ziemlich nervig. Ich habe rumgepöbelt, den Ultramacho raushängen lassen - was ich eigentlich nie war. Aber ich dachte halt, so sind Araber.

Sie hatten das Gefühl, Sie müssten sich auf eine Rolle festlegen?

Später lernt man ja, mit einer Vielfalt oder Ambivalenz in seiner eigenen Person zu leben. Aber in der Pubertät sucht man nach Rollen, ist Skater oder Hiphopper. Und ich wollte eben Ausländer sein.

Und wie das geht, haben Sie sich dann auf dem Schulhof abgeguckt? Oder hatten Sie auch engeren Kontakt zu Ihren Vorbildern?

Nein, ich hatte nichts mit denen zu tun. In meinem jetzigen Freundeskreis haben viele einen irgendwie anderen ethnischen Hintergrund. Aber damals war alles sehr deutsch. Die ersten Türken habe ich hier in Berlin kennengelernt.

Und wie war das?

Nett. Aber ich merkte schon, dass da ein Unterschied ist. Sie haben andere Einstellungen zu manchen Sachen.

Wo denn zum Beispiel?

Familie. Das große Thema. Ich bin da so weit deutsch aufgewachsen, dass Familie für mich gerne mal Pflichtprogramm ist. Und das ist es für die gar nicht. Ich habe auch gemerkt: Was ich damals auf dem Schulhof übernommen habe, war eher unmoralisch. Was ich aber jetzt bei türkischen Freunden entdecke ist, dass sie eigentlich sehr moralisch sind. Sie leben es nicht immer, aber in ihren Einstellungen ist das oft zu spüren. Mein Klischeebild war anders.

In Ihren Theaterrollen spielen Sie sehr ambivalente Charaktere: Personen, bei denen nicht ganz klar wird, was sie eigentlich wollen, wo sie stehen. Das passt zu dem Bild, das man in dem Dokumentarfilm über Ihre Geschichte bekommt, der diese Woche in den Kinos anläuft.

Da ist auch eine gewisse Wechselwirkung: Man bringt ja immer etwas Eigenes mit. Ich finde außerdem, dass man eigentlich in fast jeder Figur auch so etwas erkennen kann. Und ich finde das auch spannender. Wer ist schon schwarzweiß? Niemand.

Ihr leiblicher Vater, dem Sie in der Dokumentation zum ersten Mal begegnen, hat sehr klare Vorstellungen, feste moralische Überzeugungen. Kam er Ihnen schwarzweiß vor?

Überhaupt nicht. Meine arabische Familie ist innerhalb ihrer eigenen Kultur sehr modern. Da gibt es eine Menge Grauzonen, und gerade mein Vater ist wirklich weise, sehr präzise in seiner Wahrnehmung, vielschichtig. Er urteilt nicht, er beurteilt Aspekte, aber er verurteilt eigentlich nie. Er macht sich sehr differenzierte Bilder von allem. Das war extrem beeindruckend - und alles andere als schwarzweiß.

Ihre arabische Familie hat Ihnen ziemlich konkrete Angebote gemacht: Bei ihr zu bleiben, im Familienbetrieb mitzuarbeiten, vielleicht gemeinsam in den Irak zurückzukehren. Waren das Optionen für Sie?

Nie ganz. Es gab mal die Idee, dass ich im Winter nach Dubai ziehe und im Sommer in Deutschland bin. Aber ich bin unverheiratet, und wenn ich in der gleichen Stadt wie meine Familie lebe, dann müsste ich auch bei ihr leben. Das geht für mich nicht: Nach zehn Jahren allein wohnen, zieht man nicht noch mal zu seinen Eltern. Und da ist auch meine Arbeit: Die Schauspielerei macht mir Spaß. Aber eigentlich will ich, seit ich denken kann, Regie machen. Es ist für mich überhaupt keine Option, dass ich einen anderen Beruf mache. Ich kämpfe jetzt schon so lange dafür, ich werde diesen Weg gehen.

Im Film hat man den Eindruck, dass Sie sich problemlos den Familienstrukturen, den Erwartungen anpassen, die Ihre arabische Familie an Sie hat. Das ist überraschend vor dem Hintergrund dessen, was über Ihre wilde Pubertät erzählt wird, und auch vor dem, was man von Ihrem Leben in Berlin zu sehen bekommt.

Bei meinem zweiten Besuch in Dubai hat mich mein bester Freund besucht, und der hat genau das gleiche gesagt. Der hat sogar gesagt, dass ihn das gestört hat, weil ich sonst so rebellisch und kritisch bin. Aber besonders bei meinem ersten Besuch, während dem der Film gedreht wurde, habe ich mich gewissen Erwartungshaltungen gebeugt. Ich wollte ja auch gefallen. Ich wollte, dass meine Familie mich mag und nicht enttäuscht von mir ist. Das wäre ganz schrecklich gewesen.

Dass Ihre deutsche Adoptivmutter Sie damals quasi entführt hat, kommentiert Ihr leiblicher Vater in dem Film mit den Worten: "Wir sind alle Opfer der Liebe." Haben Sie eigentlich manchmal Mitleid mit sich aufgrund Ihrer Lebensgeschichte?

Es gibt Momente, wo ich sehr selbstmitleidig sein kann. Aber eigentlich mag ich Mitleid im Allgemeinen nicht so. Es bringt einen in eine passive und schwache Haltung. Und wenn ich die Geschichten um mich herum sehe, dann ist ja allen Leuten eine Menge passiert. Meine deutsche Mama hat eine Menge durchgemacht, um mich zu behalten. Auch meine Familie hat sehr viel durchgemacht. Und irgendwie fände ich es vermessen, der zu sein, der seine Problemchen dann in den Mittelpunkt stellt.

Und die Frage nach der Schuld - stellen Sie sich die nie?

Ich finde, so eine Schuldfrage ist schwer zu klären. Die Geschichte ist zu differenziert, als dass man einen Schuldigen ausmachen kann. Ich habe irgendwann einen kleinen Moment lang darüber nachgedacht, was passiert wäre, wenn meine deutsche Mutter mich nicht mitgenommen hätte. Dann wäre ich im Irak aufgewachsen. Insofern: Vielen Dank, Mama. Wie kann ich der Frau Schuld geben, die mir dieses Leben ermöglicht hat? Das war nie ein Thema. Wir hatten viel Streit, während ich in der Pubertät war - aber es ging nie darum, dass sie mich jemandem weggenommen hat.

Im Film wirken Sie wie jemand, der seine Gefühle kaum zeigt: Ihre leibliche Mutter ist manchmal vor Rührung völlig außer sich, auch Ihr Vater zeigt Tränen. Die sieht man von Ihnen nicht.

Es kommt selten vor, dass ich weine. Das ist nicht meine Art, Gefühle auszudrücken. Ich glaube, mein Vater ist eigentlich auch so. Für ihn war das Wiedersehen natürlich sehr krass: Wie oft hat man das, dass der verlorene Sohn zu einem zurückkehrt? Aber ich glaube, dass die Familie ihn sonst auch nicht so kennt.

Hätten Sie auch ohne das Kamerateam die Kontaktaufnahme mit Ihrer Familie gewagt?

Ja. Aber ich war extrem dankbar dafür, dass das Team dabei war. Christoph Heller war ja für mich nur in zweiter Instanz als Regisseur dabei, sondern vor allem als Freund, den ich schon sehr lange kenne. Es war sehr gut, zwischendurch mit ihm reden zu können. Ganz alleine da durch zu müssen, das wäre hart gewesen.

Es gibt zwei Stellen im Film, in denen Ihr Vater Bezug auf den Filmdreh nimmt. Gab es seitens der Familie die Befürchtung, Sie kämen nur wegen des Films?

Wir haben ein paar Mal drüber geredet und er hat mich ganz direkt gefragt, ob ich nur wegen des Films gekommen bin. Ich habe ihm auch gesagt, dass es nicht so ist - dass es aber gut war, dass ein Freund bei mir war. Wir haben darüber sehr offen gesprochen. Mehr als einmal.

Sie haben zwischenzeitlich den Kontakt zur Familie abgebrochen - haben Sie ihn inzwischen wieder aufgenommen?

Zwischendurch war es schwierig, aber der Kontakt ist wieder etwas entspannter jetzt. Zurzeit schreiben wir uns nur Emails, aber ich will sie bald wieder besuchen.

Hat Sie der Kontakt zu Ihrer Familie verändert?

Sehr sogar. Ich habe früher immer eine Vaterfigur gesucht. Das tue ich heute nicht mehr. Das mag nach wenig klingen - für mich ist das aber ein wichtiger Schritt. Ich habe jetzt ein Bild, wie ein Mann oder ein Vater zu sein hat. Und ich bin dadurch - wie man dort sagen würde - ein Mann geworden. Ich stehe viel mehr zu meinen eigenen Entscheidungen, zu meiner eigenen Souveränität. Das wirkt sich auf sehr Vieles aus. Auch ist so eine gewisse innere Zerrissenheit heute nicht mehr ganz so krass. Das ist ein sehr entscheidender Punkt für mich.

Sehen Sie eigentlich Ähnlichkeiten zwischen sich und Ihrem Vater?

Total. Wir sind in vielerlei Punkten identisch. Er ist viel weiter als ich. Aber in vielen Sachen, das hat er ja im Film auch gesagt, haben wir die gleiche Art. Wir haben beide ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen. Sogar politisch denken wir in vielen Dingen gleich. Wir sind uns sehr ähnlich.

Sie haben gerade den Begriff "innere Zerrissenheit" benutzt. Was meinen Sie damit?

Diese komische Situation, irgendwie zwischen Deutschsein und Arabersein zu stecken, aber überhaupt keine Ahnung zu haben, was Araber bedeutet. Jetzt weiß ich, was es bedeutet. Es sind immer noch diese beiden Strömungen in mir, aber ich kann sie jetzt klarer zuordnen. Ich bin weit davon entfernt, zu einem Endergebnis gefunden zu haben. Aber ich kann jetzt immerhin anfangen zu gucken, wo stehe ich eigentlich, was finde ich besser, wie möchte ich es gerne haben. Das ging vorher nicht. Jetzt habe ich einen Blick dafür.

Jetzt müssen Sie den Araber nicht mehr spielen?

Genau. Aber ich habe auch gelernt, mich als jemand zu akzeptieren, der ständig in einem Prozess ist, sich immer verändert. Die Frage nach Identität stellt sich jetzt anders für mich: Ich sehe Identität nicht als klare Konstante. Sie verändert sich, mit jedem Tag eigentlich.

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