Tanzen geht auch mit Rollstuhl

DIE SCHMERZENSREICHE Giovanni Battista Pergolesis „Stabat Mater“ wird im Theater Thikwa zu einem Stück Bewegungstheater, das Kinderwunsch, Innigkeit und Schmerz auf einen Mutterleib von Bühne bringt

Ob Giovanni Battista Pergolesis Musik wohl für seine Zeitgenossen schmerzensreich geklungen hat? Für heutige Ohren jedenfalls klingt sein letztes Werk „Stabat Mater“ eher fröhlich. Pergolesi war, als er das der schmerzensreichen Mutter Maria gewidmete Stück schrieb, bereits todkrank; der bekannteste italienischen Komponist des 18. Jahrhunderts starb 1736 mit nur 26 Jahren an Tuberkulose.

Der dem Stabat Mater zugrunde liegende mittelalterliche Text, der über die Jahrhunderte immer wieder vertont wurde, handelt von der Trauer Marias unter dem Kreuz Christi. Insofern ist es nicht unbedingt naheliegend, ihn für ein Tanzstück zu verwenden, in dem es sehr lebenszugewandt um Liebe, Nähe und Kinderwunsch geht. Die Musik aber, sie erzählt, wenn man nur will, von all diesen Dingen, und immer wieder auch vom Schmerz.

Das Theater Thikwa hat sich für seine neueste Produktion unter Leitung des Choreografen Alessio Trevisani Pergolesis Musik anverwandelt, die abwechselnd mit einer Live-Performance des Thikwa-Percussionisten Vincent Martinez erklingt. Das Bühnenbild, das die Tänzer und Tänzerinnen umgibt, besteht aus einer großen, im asymmetrischen Halbrund gespannten Stoffwand, mit seitlichen Löchern für Auftritt und Abgang sowie einer mittleren Aussparung, in der schräg drei riesige, massive Balken liegen – eine Menge Holz, für ein Kreuz vielleicht? Vielleicht ist es auch ein Ausgang Richtung Himmel. Die gespannte Leinwand umgibt die AkteurInnen wie eine schützende Höhle; wie ein Mutterleib mit viel Platz zum Tanzen. Nur ein Teil der TänzerInnen sind Profis, die meisten sind AmateurInnen mit unterschiedlichen Behinderungen. Tanzen aber, wie wir sehen, geht sogar mit Rollstuhl.

Stark symbolhaft

Die Choreografie wechselt zwischen Solo- oder Zweierszenen und Ensembleauftritten, wobei es beileibe nicht nur die Profis sind, die auch mal allein auf der Bühne stehen. Es gibt emblematische, stark symbolhafte Soloszenen wie jene, in der eine Frau sich verzückt mit einem gekochten Ei beschäftigt. Und es gibt neben stark bewegten, aufgeregten Momenten auch ruhige Ensembleszenen voller Innigkeit, die weniger aus Bewegung, dafür umso mehr aus zarter gegenseitiger Berührung bestehen. Was aus so einem Ei wird, kann, wie vorgeführt wird, sehr unterschiedlich ausfallen. Es kann in szenischem Schrecken enden – das Ei geht kaputt. Es kann aber auch das Gegenteil passieren.

Gegen Ende steht eine Frau glücklich lächelnd am Bühnenrand, man legt ihr, bevor man ihr den Kinderwagen bringt, ein von Goldpailetten schimmerndes Kissen in den Arm. Das Goldkissen, von Lampen angestrahlt, wirft einen hellen Widerschein auf ihr Gesicht. Das ist wunderschön, ebenso wie das bewegte Schlussbild, in dem niemand mehr tanzt, sondern alle Mitwirkenden Stecken in den Händen halten, an deren Enden Fäden mit bunten Schmetterlingen gebunden sind. Seitlich angestrahlt, führen die luftig-transparenten Projektionen der Schmetterlinge ihren Pergolesi-Tanz auf der großen Leinwand auf. Nach dem lang anhaltenden Schlussapplaus sind hinter der großen Leinwand glückliche Juchzer zu hören.

■ Nächste Vorstellungen: 12.–14. und 17.–21. 2., je 20 Uhr