Die Welt ist noch nicht bereit für sie

ELEKTROPUNK The Toten Crackhuren im Kofferraum sind ein vielköpfiges Musikmonster aus Weißensee. Die jungen Frauen (und drei Jungs) sind gerade mal zwanzig und orientieren sich an wilden Punkfrauen der frühen Achtziger

Entdeckt hat sie Jürgen Laarmann – und auch gleich reingelegt. Luise hakt es ab. „Da waren wir noch jung und ahnungslos“

VON HEINRICH DUBEL

Im Haus Ungarn ist Swingerparty. Nicht die Sorte Swingerparty, die im Partnertauschclub an der Ecke läuft. Es sind hippe, ganz junge Erwachsene, die gekommen sind, um zu feiern und selbst gebrannte Musik-CDs zu tauschen. Im großen Saal ist die Hölle los. The Toten Crackhuren im Kofferraum treten auf: Ein Dutzend oder mehr junge Frauen, genau lässt sich das nicht feststellen, weil die alle ständig unterwegs sind, komplexe Choreografien tanzen, mit Texttafeln arbeiten, mal an der Bühnenkante sitzen oder ins Backstage rennen.

Sie reißen das Gesicht auf

An haben die Frauen Kleider aus Plastefolie und Klebeband, in Grün und Schwarz, einige tragen auch diese Cheerleader-Puscheln, aber nur manchmal. Sie spielen Elektrobeats, druckvoll, der Sequenzer-Groove geht in die Beine. In den vorderen Reihen tanzen, schreien und drängeln die Leute. Weiter hinten stehen welche und reißen das Gesicht auf, sie können nicht fassen, was es zu sehen und zu hören gibt. Auf der Bühne hüpfen und tanzen die Mädels, und die zwei ganz vorn singen: „Ich und mein Pony, sein Name ist Johnny, wir reiten Richtung Sonnenuntergang! Es ist fast wie schweben, ich fühle das Leben, durch meine Extensions weht der Sommerwind!“ Ein Trupp Preppies dreht kopfschüttelnd ab. Dazu Schrüppe MacIntosh, eine der beiden Sängerinnen: „Man hat gesagt, das Publikum sei noch nicht bereit für uns.“

Die Crackhuren, wie sie der Einfachhalt halber genannt werden (und auch, weil es auf dem einzigen bisher erhältlichen Merchandise-T-Shirt steht), klingen ein bisschen wie Deichkind. Oder wie Jeansteam, bevor die zu alten Fricklern wurden. Oder wie Tic Tac Toe geklungen hätte, wenn die je eine richtige Band gewesen wären. Ihre Musik nennen die Crackhuren Elektropunk, was ein wohlfeiles Label sein kann. Aber das ist es nicht. Das hier ist keine bloße Referenz. Da ist noch was anderes, das hat mit Energie zu tun. Die Crackhuren haben eine Haltung, die von der Bühne runter emaniert. Keine Haltung, die bei einem Bandnamen wie diesem naheliegen mag. Diese Mädels sind keine Schlampen, sie spielen noch nicht mal welche.

Auf ihrer MySpace-Seite stehen – als musikalische Vorbilder gelistet – zwei Bands der frühen 80er-Jahre: Hans-A-Plast aus Hannover und die Berliner Frauenpunkband Ätztussis. Hans-A-Plast waren einigermaßen bekannt, traten im Rockpalast auf, verkauften für eine Weile ganz gut Schallplatten. Die Ätztussis waren weniger erfolgreich, kurzlebiger auch und krasser. Hans-A-Plast waren Studenten, die Ätztussis Anarchopunkfrauen ohne Abitur. Gemein hatten sie gesundes Selbstbewusstsein und eine Haltung, die nicht nur frech war, sondern auf Selbstbestimmung zielte. An beide Bands dürfte sich eigentlich nur noch erinnern, wer alt genug ist, um dabei gewesen zu sein. Und vielleicht einige Nerds. Es stellt sich also vielleicht weniger die Frage, warum sich ein Haufen gerade mal volljähriger Mädels aus Weißensee diese Bands als Vorbilder nimmt, sondern vielmehr, woher zum Teufel sie die überhaupt kennen?

„Zufall“, sagt Luise Fuckface, die andere Sängerin: „Hans-A-Plast habe ich beim Plattenhändler gefunden, fand ich gleich gut. Bin richt’sch verliebt.“ Die Ätztussi-Aufnahmen hat ihr einer gegeben, den sie „Stalker“ nennt, aber ironisch, denn „der ist nicht schlimm, so ein alter Punk halt, der unser Fan ist“. Alle lachen.

Sie sitzen bei Luise auf dem Küchensofa, die Crackhuren-Delegation zum Pressegespräch: Luise Fuckface, ausgebildete Bürokauffrau, Musikerin, veranstaltet im Zivilberuf Partys. Den Namen haben ihr übelwollende Exfreunde verpasst, sie hat ihn behalten, aus Krassheitsgründen. Netja Triebeltäter arbeitet als Betreuerin behinderter Kinder. Dr. King Stin studiert Archäologie, Steh Fanja Biologie und Politik auf Lehramt. Lynn, die „kein fucking Synonym braucht“, lernt pharmazeutisch-technische Assistentin. Ein Junge ist auch da, Toyboy Kritz, der diesen Mittwoch seinen letzten Tag bei der Bundeswehr hat.

Zur Stammbesetzung der Crackhuren gehören neben bis zu 16 Mädchen auch drei Jungs, die bei Livegigs die Instrumente spielen. Seit 2007 machen sie zusammen Musik, vorher waren die Mädchen als Tänzerinnen mit Underground-Heroen wie Katze, Gloria oder Fickscheiße unterwegs. Entdeckt hat sie der berühmt-berüchtigte Impresario Jürgen Laarmann und auch gleich reingelegt: „Er hat so ’n Vertrag gemacht und 20.000 kassiert irgendwie. Ist aber mit der Kohle abgehauen.“ Luise hakt es ab. „Da waren wir noch jung und ahnungslos. Wir wollten Jungs kennenlernen und Bier umsonst.“ Gelächter.

Freunde, die teilen wollen

Luise und Schrüppe schreiben die Texte und machen die Musik, beide singen. Die anderen sind Chor, Tänzer, Musiker und Multifunktionäre. Gibt es keine Probleme bei so viel Bandmitgliedern, keinen Neid? Nicht mehr als üblich, sagen sie. Irgendwer streitet sich auch bei ihnen immer, aber ist das irgendwo anders? Sie mögen sich doch mehr, als dass sie sich nicht mögen, und so eine große Gruppe macht stark. „Alleine würde ich mich auf der Bühne fürchten“, sagt Luise. Sie sind Freunde und Freundinnen, die teilen wollen. Nicht nur das Bier, auch das Rampenlicht. So was wie mit Laarmann wird ihnen nicht noch mal passieren. Inzwischen haben sie einen Vertrag mit der kleinen, engagierten Plattenfirma Beat the Rich!. Demnächst, „im März oder April, so was dauert ja immer“, wird ihr erstes Album erscheinen unter dem neuen Namen T.C.H.I.K.. „Weil die Radios keine Titel von Bands spielen, die The Tote Crackhuren im Kofferraum heißen.“