Das Gift der Intimität

THEATER „Kein Schiff wird kommen“ heißt das Stück des jungen Autors Stockmann. Es handelt von einem jungen Autor, dessen Vater und der Wende

Was geschieht, wenn einem jungen Autor bei den großen Themen dieser Zeit die Stimme versagt? Diese Frage muss sich der Protagonist aus Nis-Momme Stockmanns Stück „Kein Schiff wird kommen“ stellen. Denn wie Stockmann selbst ist er ein junger Autor, der ein Stück über die Wende schreiben soll.

Händeringend versucht er seinen Auftrag auszufüllen, den Markt für Wendethemen zu bedienen. Nur die großen Themen zeugen von Nachhaltigkeit, lautet das Credo, das Nis-Momme Stockmann seinem Theatermann aufbürdet. Intimität ist Gift. Fast lächerlich wirkt da im ersten Moment sein Versuch, die historisch bedeutsame Wende, mit der er keinerlei persönliche Erinnerungen verbindet, mit den Reaktionen der Menschen auf der kleinen Nordseeinsel Föhr zu belegen. Krampfhaft versucht er sich thematisch mit der Wende zu befassen, um auf diese Weise einem Massenpublikum gerecht zu werden. Oder wie wäre es mit: Heidegger und Hitler spielen mit Nietzsche Skat in der Hölle?

Nis-Momme Stockmanns Stück „Kein Schiff wird kommen“, von Frank Abt inszeniert, feierte am Montagabend in der Box des Deutschen Theaters in Berlin Premiere. Das Bühnenbild ist minimalistisch. Nur eine von der Decke herunterhängende Glühbirne und der Arbeitstisch sind da zu sehen. Im Hintergrund erkennt man verschwommen durch eine Scheibe den traurigen Vater an seinem Küchentisch auf Föhr. Mehr braucht das Stück nicht, um zu überzeugen.

Zu Recherchezwecken fährt der junge Autor immer wieder zu seinem Vater auf die Insel. Die Suche nach Spuren der Veränderungen seit dem Mauerfall verwandelt sich dort langsam in eine Auseinandersetzung mit seinem Vater und ihrer gemeinsamer Vergangenheit. Der Vater redet seinem Sohn ins Gewissen, etwas aus Überzeugung zu schreiben, etwas Persönliches: „Warum habt ihr bloß solche Angst vor der Gewöhnlichkeit?“, sind seine Worte.

Die Inszenierung gewinnt sehr durch die unterschiedlichen Erzählebenen. In langen, teils poetisch anmutenden Monologen gibt der Sohn eindrucksvoll seine eigenen zwiespältigen Gedanken sowie Streitsituationen mit seinem Vater wieder.

Immer wieder taucht im Hintergrund eine Vaterfigur auf, die als Gegenpol zu seinem Tun fungiert und somit zum Spiegelbild seines eigenen inneren Konflikts wird. Verzweiflung und Blockaden quälen den jungen Autor. „Ich gehe mit hohlen Wangen durch eine Welt, in der ich mich fremd fühle“, denkt er.

Über die vom Vater gelesenen Entwürfe des Sohnes erfährt der Zuschauer, was die beiden persönlich mit der Wende verbinden. „Ja, so war das“, bestätigt der Vater. Beschäftigt hat sie die Mutter, die zur Zeit der Wende krank wurde. Das wird das persönliche Thema.

Letztendlich hat also auch Stockmanns Protagonist kein Stück über die Wende geschrieben, wie er am Ende stolz verkündet. Denn schließlich ge- steht er sich ein: „Ich weiß, im Parkett merkt man jedes konstruierte Gefühl. Daran – an der Reaktion – merke ich, was ich bin und was echt ist an mir.“

BIRTE FÖRSTER

■ „Kein Schiff wird kommen“, Box des Deutschen Theaters: 2., 18. und 24. November, jeweils 20.30 Uhr; 31. Dezember 19.30 Uhr