Die Bionade wird warm

MUSICAL Wo selbst die böse Schwiegermutter lacht: Das Musical „Mamma Macchiato“ in der Kulturbrauerei zieht hübsch gereimt über Klischees und urbane Hassobjekte her. Mit einem Klavier, drei Darstellern und viel Milch

Die Geschwister müssen, um an ihr Erbe zu kommen, selbst ein Unternehmen führen

VON JULIA NIEMANN

Es gibt sie noch – die Menschen, die gerne über Sätze lachen, in denen die Worte Prenzlauer Berg, Kinder und Latte macchiato vorkommen. Und, noch erstaunlicher, es gibt noch Menschen, die Sätze bilden können, die diese Worte beinhalten und trotzdem ziemlich witzig sind. Die Stammzellformation hat ein, wie sie es nennen, „Prenzlbergical“ eben dort, im Maschinenhaus der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg auf die Bühne gebracht, das trotz der intensivsten Abfeier von mittlerweile doch recht häufig bemühten Klischees bezüglich der Einwohner des Berliner Bezirks ein paar wirklich gute Lacher und einen kurzweiligen Abend beschert. Es ist das zweite Stück der vor einem Jahr gegründeten Gruppe.

Wobei die Stärke ihres Stücks „Mama Macchiato“ eindeutig in der ersten Hälfte des Abends und dem ungezwungenen Auftritt der beiden Gruppengründer Tom van Hasselt und Nini Stadlmann und von Melanie Haupt liegt. Die drei geben alle Neben- und Hauptrollen, nämlich das Yuppie-Geschwisterpaar Simone und Thomas mit ihrer Coffeeshop-Praktikantin Helena. Die Geschwister müssen, um an ihr Erbe zu kommen, erst mal erfolgreich ein Unternehmen führen – und das gelingt durch den Verkauf von aufgeschäumter Muttermilch, „gespendet“ von bewusstlosen, überforderten Prenzlberg-Muttis („Die Kühe werden auch nicht gefragt!“).

Diese urbanen Hassobjekte kriegen, weil sie, so meinen die wenigen verbleibenden Nicht-Mütter, reichlich viel Raum einnehmen mit ihrem Gejammer und ihren Kinderwägen, ihr Fett weg: „Mütter haben Stress, Mütter sagen mir das täglich, damit ichs nicht vergess“, singt die überforderte Praktikantin.

Die ist heimlich in ihren Chef verknallt, der aber wiederum in Liebe zu einer noch nie getroffenen Kubanerin aus dem Internet entbrannt ist, die es womöglich gar nicht gibt. Die ganze Geschichte dieser Dreierkonstellation ist komplett hahnebüchen, was aber nicht so schlimm ist. Sie schafft das etwas wacklige Gerüst, die Bindungsunwilligkeit und Flüchtigkeit der Erzeuger zu besingen („Träumt von der Braut auf der Insel, die Einfalt regiert seinen Pinsel“), darauf hinzuweisen, dass die Kinder in Prenzlauer Berg nicht Chantal und Kevin, sondern Lola Jane und Ruben heißen und dass in den Szenecafés des Kiezes von morgens bis abends NY-Cheesecake-essende Muttis, kreative Künstler und blasierte Bauherrinnen rumhängen.

Die sagen dann so Sachen wie: „Wir haben ein modernes Rollenbild und eine Putzfrau“, „Monika soll auch mal ihr Ding machen“ und „Früher haben wir die Häuser besetzt, jetzt besitzen wir sie“ und spielen die Frage durch, was denn an Gratisamarettini und Leitungswasser eigentlich so toll sei. Die Milch, der eigentliche Star der Show, der Saft des Lebens, wird als Symbol der Sehnsucht nach der heilen Welt ausgemacht – den Kaffee braucht höchstens die böse Schwiegermutter aus Schwaben. Das alles wird musikalisch untermalt und ist nur manchmal redundant.

Gleich das erste der Lieder, die alle Tom van Hasselt komponiert hat und auf dem Klavier begleitet, „Frühling in Prenzlauer Berg“, hat schon fast Hitpotenzial, weil es sofort und mit Sätzen wie „Die Bionade wird warm? Der Hundekot taut? Ich weiß, er ist ein Penner, doch es gibt kaum freie Männer im Frühling in Prenzlauer Berg“ sehr pointiert klar macht, in was für einer Umgebung man sich im Kollwitzplatz-Kiez befindet. Auch die folgenden Lieder machen Spaß, etwas weniger hätte es aber auch getan. Besonders in der zweiten Hälfte, wenn es dann richtig anarchistisch-wild wird und der Leichenwagen einiges zu tun bekommt, gibt es zwar noch viel zu lachen, aber drei Lieder weniger und keine Pause hätten dem Stück nicht geschadet.

Sehr launig ist aber nochmals der Abgang mit den geträllerten „Was gut ist, ist gut und das Böse bleibt besser“ – was sich ohne Probleme auf den Abend anwenden lässt. Wenn man etwa als Schwabe in Prenzlauer Berg an den Weihnachtstagen die Schwiegereltern zu Besuch hat, kann man damit schön die neue Heimat erklären.

■ Wieder am 5., 6. und 7. Dezember, Maschinenhaus in der Kulturbrauerei. Weitere Termine unter www.stammzellformation.de