Es wuchert über die Grenzen

MALEREI „Gegen die Form. Informel 1954–2010“ bei Cruise & Callas zeigt Künstler, die den spontanen Rhythmus und die freie Form schätzen

Dem Informel geht es um die Befreiung der Malerei von der Form und von festen Kompositionsregeln

VON ANGELA HOHMANN

Die aktuelle Malerei ist auf Gegenständlichkeit fixiert. Ungewöhnlich ist daher die Ausstellung „Gegen die Form. Informel 1954–2010“. In der Galerie Cruise & Callas begibt sie sich auf Spurensuche nach dem deutschen Informel von seinen Ursprüngen in den Fünfzigerjahren bis heute.

Auf zwei Etagen und rund 280 Quadratmetern, gut versteckt in einem Kreuzberger Hinterhof, versammelt die von der ehemaligen Monopol-Redakteurin und Kuratorin Gesine Borchardt konzipierte Präsentation Arbeiten von 17 Künstlern aus vier Generationen. Die Schau markiert für die 2008 von Kirstin Struntz und Simone Lüling gegründete Galerie den Auftakt für die Zusammenarbeit mit externen Kuratoren. Auslöser war die malerische Auseinandersetzung von Frauke Boggarsch mit der ersten künstlerischen Avantgarde der Bundesrepublik – dem Informel. Spuren davon fanden sich auch in den Arbeiten von zwei weiteren Künstlern der Galerie: Ralf Dereich (1976) und Dominik Steiner (1981) – eine Ahnensuche war also naheliegend.

Nach dem Kahlschlag

Das Informel war 1945 in Paris nahezu zeitgleich mit dem Action Painting in den USA entstanden und beeinflusste bald die Kunstszene im angeschlagenen Nachkriegsdeutschland. Nach dem verheerenden Kahlschlag, den die nationalsozialistische Propaganda durch ihre Verfemung moderner Kunstströmungen als „entartete Kunst“ hinterlassen hatte, strebten junge Künstler in Deutschland nach einem radikalen Neuanfang: sowohl künstlerisch als auch moralisch.

K. F. Dahmen, Karl-Otto Götz, Fred Thieler, Bernhardt Schultze, Emil Schuhmacher, K. R. H. Sonderborg und Hans Trier sowie Gerhard Hoehme konzentrierten sich als Gegenbewegung zu der vom Nationalsozialismus politisch vereinnahmten gegenständlichen Kunst auf die gegenstandslose Malerei und suchten so den Anschluss an die internationale Kunstentwicklung nach 1945. Den Startschuss für den Durchbruch des Informel in Deutschland gab 1952 die Ausstellung „Quadriga“ in Frankfurt. Im Gegensatz zu konkreter Kunst und geometrischer Abstraktion geht es dem Informel um die Befreiung der Malerei von der Form und von festen Kompositionsregeln, um den freien Gestus und den autonomen Einsatz der Materialien. Aus dem Surrealismus wurde der Gedanke an das Wirken des Unbewussten übernommen und für die künstlerische Auseinandersetzung fruchtbar gemacht: Ohne rationale Kontrolle sollte über den spontanen Rhythmus der rein physischen Malbewegung Farbe auf die Leinwand aufgetragen werden.

Aus der Gründergeneration des Informel sind bei Cruise & Callas dank großzügiger Leihgaben der Berliner Galerien Nothelfer und Zellermeyer die oben genannten acht Künstler mit Werken vertreten. Hinzu gesellen sich Arbeiten von Herbert Brandl, Helmut Dorner, Thomas Helbig und Arnim Böhm als Nachfolgegeneration, gefolgt von Werken Anselm Reyles und André Butzers. Als Schlusslichter der Ahnenreihe sind Arbeiten der Künstler der Galerie zu sehen.

Außer Kontrolle

Wie eng die Bezüge zwischen den Generationen sind, macht die Ausstellung schon dadurch deutlich, dass die Werke nicht chronologisch gehängt sind, sondern sich Historisches mit Zeitgenössischem mischt. Neben einem Karl-Otto Götz (1968) hängt zum Beispiel ein Anselm Reyle (2000), und gerade hier sieht man, wie trotz unterschiedlicher Techniken (Malerei und Collage) und der absolut zeitgenössischen Materialien von Reyle (Neonfarbe und goldene Alufolie) der impulsive Gestus des Informel bei beiden ins Auge fällt. Bei Hoehme, Helbig und Butzer wird die Malerei mitunter entweder durch den pastosen Farbauftrag oder die Einarbeitung von Materialien plastisch, wuchert über die beengten Grenzen ihrer Zweidimensionalität hinaus. Und bei den jüngsten Künstlern der Ausstellung wechselt sich virtuoses Farbspiel mit monochromen Farbstudien und impulsiven Streifenmustern ab. Ein Besuch lohnt sich.

■ Köpenicker Str. 187/188. Mi.–Sa. 12–18 Uhr, Bis 6. März