Ein unausgesprochener Konflikt

MEDIALES DOPPEL Die alte Kunst des Theaters und die junge des Comic begegnen sich beim Festival „Reality Kills“ im Maxim Gorki Theater auf der Bühne und in Gesprächen, um Bilder des Krieges zu reflektieren

Auf diese Weise verzichtet das Theater auf körperliche Präsenz, von der es sonst lebt

VON WALDEMAR KESLER

Wenn zwei Vertreter verschiedener Generationen aufeinander treffen, gibt es leicht eine kritische Situation: Werden sie einen Kanal finden, durch den sie sich trotz aller Hindernisse verständigen können? Eint sie ein gemeinsames Interesse? Die Suche nach einem Bindeglied lässt sich im Gorki-Theater wie ein Cafégespräch zwischen zwei Medien beobachten. Auf der einen Seite sitzt das Theater, ein medialer Greis, der schon etliche Menschenalter auf dem Buckel hat, auf der anderen Seite der Comic, der in der öffentlichen Wahrnehmung den Ruf als infantile Ausdrucksform erst ganz allmählich loswird.

Als gemeinsames Thema hat das Gorki-Theater „Kriegsbilder im Comic und auf der Bühne“ vorgegeben. In der am Sonntag begonnenen Veranstaltungsreihe „Reality Kills“ stellt es die Frage: Können die beiden Medien Comic und Theater uns Krieg und Gewalt spürbarer machen als die allgegenwärtige Flut der Fernseh- und Filmbilder?

Der konzeptuelle Ansatz ist geschickt gewählt, damit zusammenwachsen mag, was per se nicht zusammen gehört. Um bei der militärischen Bildsprache zu bleiben: Hier wird eine Zweckallianz gegen die um sich greifende Bedrohung der Gleichgültigkeit und Abstumpfung gebildet. Das Berliner Publikum wird die westliche Intervention in Lybien zwar als Assoziation mit ins Theater bringen, weil sie sich derzeit aufdrängt. Mit diesem Aktualitätsbezug fühlten sich die Beteiligten allerdings nicht sonderlich wohl, wie sich am Sonntag zeigte. Der Regisseur Sascha Hargesheimer, der die Theateradaption des Comic „Alans Krieg“ von Emmanuel Guibert inszenierte, verwahrte sich denn auch dagegen, von aktuellen Geschehnissen vereinnahmt zu werden.

Bei einer Podiumsdiskussion unter Comic- und Theatermachern, „War P(r)op“, kam zur Sprache, dass das Ensemble zwar über solche Analogien nachgedacht, sie aber verworfen habe, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass die unterschiedlichen historischen Situationen miteinander vergleichbar seien. Die Lebenserinnerungen des GIs Alan Cope sollten nicht den falschen Eindruck erwecken, eine objektive historische Wahrheit widerzuspiegeln, so Hargesheimer.

Der unausgesprochene Konflikt zwischen den Medien Theater und Comic besteht darin, dass das Theater historisch lange Zeit den unangezweifelten Anspruch hegen durfte, die Menschen ästhetisch zu erziehen, während der Comic sich selbst bei historischen Dokumentationen auf eine subjektive Erzählweise zurückzog. Joe Saccos Comic-Reportagen aus Palästina oder Bosnien, die im Foyer zu sehen sind, erzählen Geschichte als subjektive Erlebnisse und nicht als politische Lehrstücke.

Ohne diese Kluft offensiv zu thematisieren, holt das Gorki-Theater den Comic als „das Andere“ ins Boot. Dieser Unterschied ist medientheoretisch interessant, sorgt in der Aufführungspraxis aber für Irritationen. Im Stück „Alans Krieg“ geht es wie im Comic um Erinnerungsarbeit. Emmanuel Guibert lernte Alan Cope durch Zufall kennen und war so fasziniert von den Erzählungen aus seinem Leben, dass er sie aufzuzeichnen begann. Alan wurde als Jüngling eingezogen. Seine Kriegseindrücke sind so ganz anders als die Bilder, die im öffentlichen Gedächtnis gespeichert sind. Er reist den Schlachten nach, statt an ihnen teilzunehmen. Wie jeder amerikanische Soldat, der im Krieg verletzt wurde, bekam er einen Orden – er war aus einem Scheunenfenster gestürzt.

Im Comic geht es um die Diskrepanz zwischen der persönlichen und der historischen Bilderwelt. Vielleicht aus der Angst heraus, die Comicbilder einfach zu reproduzieren, verzichtet Sascha Hargesheimer weitgehend darauf, mit Bildern zu spielen, und reproduziert stattdessen die Erinnerungsarbeit: Vieles beschränkt sich auf die improvisierte Nacherzählung der Schauspieler. Aber in den seltenen guten Momenten hatte man den Eindruck, dass sich das Ensemble mit dem Ausgangsmaterial auf einer medialen Ebene auseinandergesetzt hatte. Eine Tanzszene entstand etwa in den Köpfen der Zuschauer dadurch, dass ein Frauen- und ein Männerschuh durch die Luft wirbelten. Comicleser erinnerte das an „The Spirit“, worin Will Eisner einen Bösewicht nur durch zwei Handschuhe repräsentierte.

Auf diese Weise eignet sich Theater eine fremde Darstellungsform an, indem es auf körperliche Präsenz verzichtet, von der es sonst so stark lebt. Solche Annäherung blieb beim Festival aber sehr zaghaft. Sonst verließ man sich auf die bewährte Requisite, deren Stücke, nicht übermäßig originell, das Inventar eines Lebens versinnbildlichten. Bislang sieht es nicht so richtig danach aus, als ob das Gorki-Theater etwas mit Comics anzufangen weiß. Aber bei einem ersten Treffen muss es ja nicht gleich funken.

■ Noch bis 26. März 2011 im Gorki Studio Berlin