Die Finnen kommen

LITERATUR Das Literarische Colloquium lud ein zu „Jugendkraft und Tütenbier“: Nach einer Lesereise durch mehrere europäische Staaten waren junge finnische AutorInnen nun zu Gast in Berlin

Eine Weile kann es inspirierend sein, den exotischen Phon- ketten zu lauschen

VON KATHARINA GRANZIN

Wenn man ein bevölkerungsmäßig kleines Land von nur rund fünf Millionen Einwohnern ist, das im Jahr 2014 Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse werden soll, so tut man gut daran, sich beizeiten ums europäische Networking zu kümmern. Das Land heißt Finnland. Man pflegt dort eine immer noch anhaltende Liebe zum gedruckten Wort. Bibliotheks- und Verlagswesen blühen und werden gefördert. Doch selbst im übersetzungsaffinen Deutschland liegt von der jüngeren finnischen Literatur eher wenig in Übersetzungen vor. Klar, dass man das ändern sollte, und zwar möglichst bis 2014.

Und so rollen sie gerade durch die Länder, zwei Handvoll junge finnische AutorInnen, die zum Literaturverband Nuoren Voiman (zu Deutsch in etwa „Jugendkraft“) gehören. Es ist ein altehrwürdiger, fast hundertjähriger Verein, dem jedoch von der jüngeren Autorengeneration munteres Leben eingeblasen wird. Lesungen, Festivals, Nachwuchsseminare organisiert Nuoren Voiman und warum nicht auch mal eine Rundreise?

Seit dem 10. Juni waren die schreibenden JungfinnInnen nun unterwegs auf einer kleinen Ostseeanrainertournee, die in Estland angefangen hat. Berlin ist die letzte Station. Man merkt allen Beteiligten eine gewisse Erleichterung an, dass das Ende naht, obwohl, wie die Lyrikerin Katariina Vuorinen etwas sarkastisch bemerkt, es ein horizonterweiterndes Erlebnis gewesen sei, mit so vielen Leuten auf engem Raum gemeinsam zu reisen. Vor allem, wenn man zu sechst in einem Hostelzimmer schlafen musste, ergänzt Mikko Rimminen, der mit seinem „Tütenbierroman“ (2007, Kiepenheuer & Witsch) als einziger der anwesenden KollegInnen schon einmal ins Deutsche übersetzt worden ist. Man reist mit dem Bus und übernachtet preiswert.

Im Literarischen Colloquium treten fünf AutorInnen auf, sympathische Thirtysomethings allesamt. Die Frauen tragen schöne bunte Sommerkleider, die Männer Jeans zu Turnschuhen. Es ist immer ein linguistisches Erlebnis, einer Lesung zu lauschen, wenn man die gelesene Sprache auch nicht ansatzweise beherrscht. Zumal nicht völlig klar ist, ob die deutschen Passagen, die von den AutorInnen Judith Schalansky, David Wagner und Hanna Lemke vorgetragen werden, immer identisch sind mit dem zuvor auf Finnisch dargebrachten Textabschnitt. Aber eine Weile kann es recht inspirierend sein, den exotischen Phonketten zu lauschen und zu versuchen, ab und zu sogar ein Wort aufzuschnappen. Mein finnischer Wortschatz beschränkt sich allerdings auf vier Vokabeln. Dreimal verstehe ich kaksi („zwei“), zweimal yksi („eins“). Beglückend. Die Zahl „drei“, zu finnisch kolme, dagegen scheint in keinem der Texte vorzukommen, ebenso wenig das Wort poro, das „Rentier“ bedeutet, was ich deswegen weiß, weil eine weltläufige Freundin neulich von einer Finnlandreise Rentiergrillwürstchen mitbrachte.

Dabei gibt es zumindest im Roman von Katja Kettu sicher irgendwo auch poro. Die Autorin stammt nämlich aus Lappland, wo auch ihr dritter Roman spielt, der genau vor Antritt der Lesereise fertig wurde. Er erzählt eine Geschichte aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, eine schwierige Liebesbeziehung zwischen einem deutschen Offizier und einer finnischen Hebamme, die teilweise auf Erlebnissen der Großmutter der Autorin basiert. Kettu ist damit die einzige der jungen AutorInnen, die sich mit ihrem Schreiben auf historisches Gebiet begibt.

Ihre Prosakollegin Laura Lindstedt hat einen Roman mit sehr neuzeitigen Neurosen im Gepäck, der um eine Frau kreist, die sich ihren Kinderwunsch mit einem Adoptivkind aus China erfüllt.

Und Mikko Rimminen, dessen „Tütenbierroman“ dem Abend zu seinem Titel verhalf, liest aus etwas, auf dessen Umschlag Nenäpäivä steht, was die Moderatorin Kaisa Kaakinen mit „Der Tag der roten Nase“ übersetzt und hinzufügt, dass der Autor dafür die höchste Literaturauszeichnung des Landes, den Finlandia-Preis, bekommen habe. Worum es in dem Roman geht, bleibt etwas unklar, doch die gelesene Passage, in der ein Ich-Erzähler sich mit zwei aufgedonnerten Teenagern auf einer Parkbank unterhält, bringt das Publikum zum Lachen. Daran hat nicht zuletzt Hanna Lemke Anteil, die beim Lesen der Übersetzung sehr souverän den Teenagersprech wiedergibt. Katariina Vuorinen und Jarkko Tontti lesen Gedichte.

Ein ist ein schöner, freundlicher Leseabend, an dessen Ende sich auch noch eine kleine Besonderheit der finnischen Kultur zeigt. Da werden alle fünf AutorInnen gemeinsam aufs Podium gebeten, wo sie auf Fragen von Moderatorin und Publikum Antwort geben. Und zwar immer alle fünf der Reihe nach. Das ist geradezu großartig kollektivistisch. Es dauert halt ein kleines bisschen länger. Aber so viel Zeit darf manchmal schon sein.