Ein Teil des Lebens

RADKULTUR Warum Radfahren Städte lebenswerter macht, zeigt die dänische Botschaft mit einer Ausstellung über Kopenhagen

Radfahren ist nicht nur eine Art des Fortbewegens, sondern eine kulturelle Errungenschaft

VON KRISTINA PEZZEI

In Dänemark machen die kleinen Dinge glücklich. Ein Fußstütze an der Fahrradampel erleichtert Radlern in Kopenhagen das Warten bei Rot, zum Beispiel. Schräg gestellte Mülleimer fangen Kaffeebecher auf, die bei laufender Fahrt weggeworfen werden. An zentralen Kreuzungen stehen öffentliche Luftpumpen.

„Wir glauben nicht, dass wir mit Radfahren die Welt retten können“, sagt der dänische Botschafter in Berlin, Per Poulsen-Hansen. „Aber wir können lebenswertere Städte schaffen, ein besseres Klima. Und wir unterstützen die Gesundheit der Menschen.“ Radfahren, so die politische Botschaft, ist nicht nur eine Art des Fortbewegens. Radfahren ist eine kulturelle Errungenschaft. Radfahren ist Teil des Lebens in der Stadt, während Autofahren mit der Stadt nichts zu tun hat. All das zeigt bis Ende Februar eine Ausstellung in den Nordischen Botschaften. Leider macht die Schau „Eine Stadt fährt Rad“ auch deutlich, wie weit Berlin davon entfernt ist, eine Fahrradstadt zu sein.

Mehr als ein Drittel aller Kopenhagener fährt mit dem Rad zur Schule oder zur Arbeit, bis 2015 soll der Anteil auf 50 Prozent gesteigert werden; die Zahl der schwer verletzten Radler hat sich seit 2005 halbiert – und 80 Prozent sagen nun, dass sie sich im Verkehr sicher fühlen. In Berlin dagegen liegt der Anteil der Radfahrer am Gesamtverkehr bei nicht einmal 15 Prozent.

In Berlin bekennt sich der neue Verkehrssenator öffentlich zum Autofahren, lobt seine Mitbürger explizit als „gute Autofahrer“ und sagt über Radfahrer: „Manche sind der Meinung, dass sie sich gegenüber Fußgängern und Autofahrern alles herausnehmen können.“ In Kopenhagen hingegen wird das Radfahren auf hoher Ebene kultiviert: „Ich fahre mit dem Rad überallhin, es sei denn, der Weg ist sehr weit oder meine Kleidung ist nicht geeignet, für Gesellschaften bei der Königin zum Beispiel – in Kleid mit Schleppe lässt es sich einfach nicht Rad fahren“, wird die dänische Innen- und Wirtschaftsministerin Margrethe Vestager in der Ausstellung zitiert. Und dass sie „lieber in Radwege statt in Autobahnen“ investiere. Dazu ist ein Foto der Politikerin zu sehen: Mit Helm lächelt sie neben einem Christiania-Rad in die Kamera.

Es ist wohl auch eine andere Art von Staatsverständnis, die dahintersteckt: Wer gemeinsam mit der Ministerin an der roten Ampel wartet, fühlt sich gleichwertiger, eher auf Augenhöhe. „Man ist sich der Gegenwart anderer Menschen bewusst und nimmt Anteil an der Privatsphäre. Diese Art von urbanem Leben wünschen wir uns in Kopenhagen“, wird Stadtarchitektin Tina Saaby auf einer anderen Stellwand zitiert.

Unter Fotos von küssenden Paaren zwischen Lenker und Stange sowie Vätern mit Lasträdern sind Zitate von Architekten, Politikern, Designern und Bloggern zu lesen; außerdem werden die kleinteiligen Maßnahmen vorgestellt, mit denen die Radkultur gefördert wird. Darunter diese dänische Besonderheit: Statt Verkehrsrowdys mit Geldstrafen und Punkten zu bestrafen, belohnt die Verwaltung positives Verhalten. An Knotenpunkten in der Stadt stehen bisweilen Mitarbeiter der Verwaltung, die Karma-Spotter. Beobachten sie Radfahrer, die sich besonders rücksichtsvoll verhalten, erhalten diese ein „Karma-Päckchen“ zur Belohnung.

Auffallend ist vor allem, wie breit die Wege angelegt sind im Vergleich zu Berlin. Trotzdem reichen sie offenbar nicht aus: „Ein Problem, auf das wir stolz sind: Fahrradstaus – statt Autostaus. Unfälle sind kaum ein Problem, eher ist es das Tempo. Das müssen wir angehen“, erklärt Stadtrat Claus Juhl. Geplant ist, populäre Radstrecken für Fahrer mit einem Durchschnittstempo von 20 Kilometer pro Stunde zu optimieren. Sensoren im Straßenbelag sollen die Ampelschaltung auf den nahenden Radler vorbereiten und entsprechende Lichtsignale einleiten. Auch sind gesonderte Fahrradbrücken geplant, um den Verkehr unabhängiger von Autoströmen zu machen.

Anlass der Ausstellung ist die dänische Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union (EU). Die Dänen legen dabei den Schwerpunkt auf ein grünes, nachhaltiges Europa – dass das viel mehr ist als „nur“ umweltfreundliches Verhalten, zeigt die dänische Botschaft ebenfalls anhand des Fahrrads. „Baisikeli“ bedeutet „Radfahrer“ auf Suaheli, und so heißt auch ein Kopenhagener Radverleih. Mit dem Geschäft finanzieren zwei junge Kopenhagener das Projekt, Secondhandfahrräder nach Afrika zu senden. Dort werden sie überholt und für kleines Geld verkauft: Das ist Hilfe zur Selbsthilfe und Werbung für klimafreundliche Transportmittel in einem.

■ „Eine Stadt fährt Rad“. Bis 29. 2. in den Nordischen Botschaften, Rauchstraße 1. Mo. bis Fr. 10 bis 19, Sa., So. 11 bis 16 Uhr