Als Heulsuse Karriere machen

ENTDECKUNG Mit der Show „La dernière crise“ führt die Schauspielerin Vanessa Stern den Beweis, dass auch Frauen komisch sein können, obwohl das Theater Frauen nur als tragische Figuren kennt

VON KATHARINA GRANZIN

Bedarf es eines Krisenzentrums für weibliche Komik? Die Schauspielerin Vanessa Stern hat eins gegründet. Sie betreibt es unter dem Schirm der UdK und veranstaltet Komik-Workshops für Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts. Das beharrliche Beackern dieses weiten Feldes zeitigt allmählich schöne Früchte des Erfolgs. Stern moderiert die Veranstaltungsreihe „La dernière crise“ alle zwei Monate in den Sophiensælen.

Am Donnerstag kam dort vor vollem Haus zum zweiten Mal eine Frauenrunde zusammen, die Komik, Krisen und Sonstiges aufs Nonchalanteste zusammenzubringen vermochte. Wenn man überhaupt etwas an diesem Abend kritisieren wollte, dann dies: Warum muss es immer Krise sein? Und warum heißt die Website ausgerechnet heulenkannjede.de?

Vanessa Stern, müsste man sich dazu entschuldigend sagen, ist ein vom Theater gebranntes Kind. Einst „beste Nachwuchsschauspielerin“ in Nordrhein-Westfalen, durfte sie auf der Bühne häufig tragische Heldinnen spielen und musste dabei ungezählte Tränen vergießen. So ist sie, die klassische Dramenliteratur: Gestorben wird viel, und wer am schönsten heulen kann, wobei es fast immer die Frauen sind, die diese Aufgabe zu übernehmen haben, kriegt am meisten Applaus. Als Schauspielerin, so leuchtet uns ein, nachdem Vanessa Stern das alles erzählt hat, macht man mithin am leichtesten als gute Heulsuse Karriere. So wollen sie es anscheinend, die Leute in der Provinz.

Wir dagegen in den Sophiensælen, wir werden von der Moderatorin gleich zu Anfang sehr gelobt für unseren schönen Eingangsapplaus. Ein echtes Hauptstadtpublikum seien wir. Und sicher, weil wir so aussehen, als würden wir weder auf Genderstereotype hereinfallen noch sonstige Vorurteile hegen, wird sie uns, als besonderen Vertrauensbeweis, kurz vor der Pause sogar noch Stefan zeigen. Stefan ist eigentlich auch gar kein Mann, sondern ein Akkordeon mit Sehnsucht nach Bühnenpräsenz.

Und wenn man davon absieht, dass Stefan ein männliches Instrument ist, ist die Akkordeon-Nummer, die mit einer Publikumserwartung spielt, die dann nicht eingelöst wird, wohl die einzige, in der „geschlechtsspezifische Zugänge zur Komik“, wie es in der Selbstdarstellung des Krisenzentrums für weibliche Komik formuliert ist, eine untergeordnete Rolle spielt. Die anderen Nummern, die Stern und Kolleginnen darbieten, zielen als Rollenspiele meist direkt auf weibliche Charaktere, die hemmungslos überzeichnet daherkommen. Karla Nina Diedrich etwa gibt eine junge Schauspielerin, die ihr peilungsloses Dasein zwischen New-Age-Hokuspokus und Facebook verdämmert, und Stephanie Petrowitz mimt eine Krankenkassenangestellte, die in großem Kreise ihren fünfzigsten Geburtstag begeht und ihr ereignisfrei verlaufenes Leben dabei in ungebremster Spießigkeit feiert.

Tränen vergießt dabei das hauptstädtische Publikum. Zuvor führt Vanessa Stern ein Gespräch unter Kolleginnen mit Eva Löbau, auch diese in einer Rolle als erfolglose Schauspielerin, die sich, einer Rolle in einem Film wegen, der niemals gedreht wurde, die Schamlippen hat straffen lassen, nebenbei durch den Verkauf von Wundsalbe und Freibadschmuck ihr Leben zu fristen versucht und sich ansonsten tapfer was vormacht. So ist es in der Tat wiederholt die Krise, die Anlass zur Komik liefert.

Völlig aus diesem Rahmen fällt Vanessa Sterns Gespräch mit der 70-jährigen Attac-Aktivistin Lony Ackermann, das unter dem Label „Auf eine Zigarre mit Lony Ackermann“ und unter Erzeugung viel künstlichen Zigarrenqualms stattfindet. Ein eigenartiges, auch eigenartig originelles Format. Ackermann ist weder Schauspielerin noch Kunstperson, sondern ganz sie selbst, Stern dagegen ist zwar auch sie selbst, doch gleichzeitig auch ihre Bühnenpersona. Die Komik, die in dieser Konstellation erzeugt wird, bezieht ihre unterschwellige Wirksamkeit vor allem aus der subversiven Persiflierung eines bekannten publizistischen Verbrüderungsrituals unter Männern. Und fügt der komischen Mischung dieses Abends eine Note hinzu, die über das Format der „Krise“ deutlich hinausweist. Das ist sehr gut.

Sehr gut ist zudem noch, dass es zwischendurch immer wieder schöne laute Musik gibt von der Dreier-Combo „Le Sorelle Blu“. Das Komische in der Musik unter besonderer Berücksichtigung genderspezifischer Perspektiven wäre auch mal ein schönes Thema für einen Sonderforschungsbereich an der UdK.

■ Die nächste „Dernière crise“ findet am 29. März um 21 Uhr in den Sophiensælen statt und steht unter dem Motto „Lass stecken“