Zurück ins Vergessen

JAZZ Er floh vor den Nazis nach Osten, wurde ein Star in der Sowjetunion, durchlitt den Gulag und kehrte nach Berlin zurück, wo sich niemand für ihn interessierte. Eddie Rosner war einer der Großen des europäischen Jazz

VON SONJA VOGEL

In seinem Leben spiegelt sich eine Jahrhundertgeschichte. Der 1910 geborene Eddie Rosner war eines der großen Talente des Jazz in Europa. „Äußere Umstände haben ihn zu dieser Größe gebracht“, sagt Gertrud Pickhan am Donnerstagabend im Berliner Brecht-Haus. Dorthin hat Wolfgang Benz die Osteuropawissenschaftlerin und ihren Kollegen Maximilian Preisler zum Gespräch geladen. Die beiden haben ihre Forschungsergebnisse über den in Deutschland fast vergessenen Rosner in dem Band „Von Hitler vertrieben, von Stalin verfolgt“ niedergeschrieben, der 2010 im Bebra-Verlag erschienen ist. Der Saxofonist Dirk Engelhardt begleitet das Gespräch mit Arrangements, die an den virtuosen Trompeter und Komponisten Rosner erinnern.

1927 beendete Eddie Rosner seine Ausbildung an der Violine. Nebenher lernte er Trompete. „Er war ein Wunderkind“, sagt Gertrud Pickhan. Schon mit 19 Jahren war Rosner Trompeter bei den Weintraub Syncopators, einer der bekanntesten Berliner Unterhaltungsbands. Bereits das erste Konzert, das sie im Haus des jüdischen Brüdervereins gaben, war ein großer Erfolg. „Die jungen Leute waren verrückt nach dieser Jazzmusik“, beschreibt Maximilian Preisler den damaligen Zeitgeist.

Dann der erste Bruch. „Ab 1933 war Berlin kein Ort mehr für jüdische Jazzmusiker“, heißt es im Buch. Rosner reiste durch Westeuropa, 1936 ging er nach Polen, das Land seiner Eltern. Lange bleiben konnte er nicht: „Nach dem deutschen Überfall blieb Eddie Rosner nicht viel mehr übrig, als in den Osten zu fliehen“, sagt Pickhan.

Zunächst hatte Rosner in der Sowjetunion großen Erfolg. Der Parteisekretär der KPdSU, Panteleimon Ponomarenko, machte ihn zum Leiter des ersten Staatlichen Belorussischen Jazzorchesters. Seine Arrangements, die europäische Einflüsse, Chicago-Jazz und russische Traditionen verbanden, gefielen. Rosner nannte sich nun Eddie und nicht mehr Ady – bürgerlich hieß er Adolph. Den Namen hatte er bereits in Berlin abgelegt, da er, so Wolfgang Benz, „einem Juden polnischer Herkunft nachvollziehbare Probleme machte“. Sein Orchester stellte er aus geflüchteten jüdischen Künstlern zusammen. Sie durften Stücke für das neue Medium des Tonfilms einspielen – ein Vertrauensbeweis der KP-Führung. Rosner war der Star der sowjetischen Unterhaltungskultur. „Er personifizierte die Träume vom goldenen Westen“, sagt Preisler. Die antisemitische Kampagne gegen „Kosmopolitismus“ allerdings traf auch Rosner. Beim Versuch auszureisen, wurde er 1946 festgenommen. „Mit der Verhaftung Eddie Rosners in Lemberg war sein Weg durch das Gulag-System bereits vorgezeichnet“, meint Preisler. Rosner wurde zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt. In der Kalyma-Region, wo er bis zum Tod Stalins einsaß, leitete er ein Orchester von gut 20 Künstlern. „Sie waren von schwerer körperlicher Arbeit befreit und hatten bessere Lebensbedingungen als die Mithäftlinge“, sagt Pickhan.

Nach seiner Rehabilitierung konnte Rosner zunächst wieder an seine Erfolge anknüpfen. Für „Karnaval’naja No“, den ersten Film der Tauwetterzeit, komponierte er die Musik. Das Stigma des Gulag-Häftlings wurde er jedoch nicht mehr los. In den 1960er Jahren stellte Rosner Ausreiseanträge, aber erst 1972 durfte er nach Westberlin. „Hier beginnt dann das vielleicht traurigste Kapitel seiner Biografie“, sagt Pickhan. Als Musiker konnte Rosner nicht mehr Fuß fassen. Enttäuscht und verarmt starb er 1973.

Eddie Rosner hat keine Erinnerungen hinterlassen. Erst nach dem Öffnen der Archive fanden sich Dokumente: Verhörprotokolle, Petitionen und Meldungen des Lagerpersonals. Das sowjetische Arbeitsbuch, das Rosner – nachdem ihm die Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes verwehrt worden war – für einen Antrag auf Sozialrente einreichte, verzeichnete seine gesamten Auftritte. 1992 hatten es die deutschen Behörden aber geschreddert. „Wir sind fast in Ohnmacht gefallen“, erzählt Pickhan. Wolfgang Benz resümiert: „Mir scheint das Buch auch ein Lehrstück über die Schwierigkeit des Zurückkehrens in ein neues Deutschland, in dem man vergessen worden ist.“ Ein Schicksal, das der Jazzer Eddie Rosner mit vielen deutsch-jüdischen Intellektuellen teilt.