Panoramen einer Angekommenen

FOTOGRAFIE Greta Schmidt begleitet als Fotografin ihre Motive oft über Jahre und sucht Orte und Milieus immer wieder auf. So entstehen faszinierende Serien, wie die der Berliner SM-Szene oder der Beelitzer Heilstätten. Letztere ist jetzt im Kaffee- Raum Prenzlauer Berg zu sehen. Ein Porträt

Momentan ist sie von der blauen Stunde fasziniert. Viel Zeit bleibt ihr nicht, um das Licht in dieser kurzen Phase zwischen Nacht und Sonnenaufgang auszunutzen

VON GABRIELE MARIA GERLACH

„Wenn ich allein dort war, schienen mich die Bauten in sich aufzusaugen, und die Realität wurde brüchig.“ Wenn Greta Schmidt über die Jahre erzählt, in denen sie die historischen Beelitzer Heilstätten fotografierte, lässt sie die Orte lebendig werden. Inmitten der maroden Architektur, in den verfallenen Gebäuden sei das Vergangene für sie spürbar gewesen, ihr Verhältnis zu den Gebäuden metaphysischer Art. Wenn sie das sagt, klingt sie nicht, als wolle sie philosophieren. Schmidt wirkt mit Ende 40 mädchenhaft, sie ist schmal, und ihr Gesicht zeigt kaum Falten, die halblangen roten Haare hält sie mit einer Spange aus dem Gesicht.

Ihre Fotografien aus Beelitz zeigen eine dem Verfall preisgegebene Architektur, baufällige Geländer, zerbrochene Fenster, kaputte Türen, abblätternde Farben. Teilweise sind es Panoramaaufnahmen, denen Schmidt eine eigene Schattierung verliehen hat, so als würde eine unsichtbare Lichtquelle die Bilder in Blau, Rot oder Grün leuchten lassen. Das Spiel mit Licht und Farben spiegelt eine vermeintlich künstliche Wirklichkeit wider, die die Realität nicht verschließt, sondern wie durch einen Schleier freigibt. Um das zu erreichen, konstruiert sie im Vorfeld das Bild, versucht ihren Blick für das Wesentliche mit der Panoramatechnik zu kombinieren, im Idealfall harmoniert beides. Und als hinterfrage sie das Ergebnis noch immer kritisch, steht sie fast distanziert ihren eigenen Bildern gegenüber. Die Ausstellung läuft im Berliner KaffeeRaum in Prenzlauer Berg, für dessen Inhaber Frank Richter Kaffeehauskultur und Kunst zusammengehören. Schmidt selbst wohnt im Kiez, es ist ihre dritte Ausstellung an diesem Ort.

Ihr Hang für eine ausgefeilte Technik ist zum großen Teil ihrem Werdegang geschuldet. 1963 in Heilbronn geboren, fotografiert und zeichnet sie, seit sie 14 Jahre alt ist. Sie zeichnet mit Kohle, Kreide und Bleistift, arbeitet mit Öl und Lackfarben. Von 1985 bis 1987 studiert sie Kunstgeschichte, Geschichte und Psychologie an der Universität in Heidelberg. Das Studium war ein Kompromiss, sagt sie, denn schon damals wollte sie Kunst erschaffen, nicht interpretieren.

Sie bricht das Studium nach zweieinhalb Jahren ab und geht zurück nach Heilbronn. Dort beginnt sie, inspiriert durch die Kunst Andy Warhols, eine Siebdrucklehre, die sie 1989 abschließt. Während dieser Zeit experimentiert sie mit Typografie, einer durch das Druckverfahren typischen Reduktion von Form und Farbe und reproduziert ihre Motive in immer neuen Variationen. Dennoch, die Ausbildung war wieder ein Kompromiss, dem Sicherheitsdenken ihrer Familie geschuldet.

1992 beginnt sie, sich freiberuflich als Grafikerin und Designerin zu etablieren, später gestaltet sie zunehmend Internetseiten. Von 1992 bis 2000 ist sie Mitinhaberin einer Grafikagentur und beschäftigt sich unter anderem mit individuellem Hörgerätedesign. 2003 siedelt sie schließlich nach Berlin über.

Ohne die Umwege über Studium und Ausbildung hätte sie ihr technisches Wissen nicht annähernd so vertiefen können, obwohl sie gern früher aus der kleinbürgerlichen Enge Schwabens ausgebrochen wäre. Dennoch, betont sie, das strukturierte Leben hielt sie auch von kompletter Opposition ab. Von Leid und Selbsthass getrieben, experimentierte sie mit Extremen, ihre Welt war geprägt von düsteren Assoziationen. Inspiriert von den Ikonen ihrer Jugend, neben Andy Warhol waren das Velvet Undergound und vor allem Patti Smith, spielte sie damals in einer Band. Die Musik war laut, wild und schrill, angelehnt an die anarchische Art der 1970er Jahre, den Vorstufen des Punk. Noch heute profitiert sie von den Erfahrungen zahlreicher Auftritte.

Obwohl Greta Schmidt nach außen zurückhaltend wirkt, ist sie innerlich aufgewühlt und rebellisch. Ein scheinbarer Widerspruch, der sich auch darin äußert, dass sie mehrmals in der Woche Kampfsport trainiert.

Heute ist sie endlich angekommen, wo sie als Jugendliche schon hinwollte. Künstlerisch probiert sie sich immer wieder aus, ist fasziniert von den Ansprüchen, die Material und Technik an sie stellen. Dabei fotografiert sie auch mit ihren alten Kameras, einer Hasselblad und einer Mamiya. Die Fotografie nimmt heute mehr Raum in ihrem Leben ein. „Das ist vor allem eine Frage des Selbstverständnisses“, sagt sie. „Ein Selbstverständnis, das ich damals noch nicht hatte. Es hat Jahre gedauert, bis ich im Weggehen meine Wurzeln entdeckt habe.“ Den schwermütigen und melancholischen Untertönen ist sie in ihrem fotografischen Werk treu geblieben.

In die Mongolei reisen

Heute verkauft Schmidt mehr Werke und hat Interessenten, die sie regelmäßig nachfragen, aber davon leben kann sie nicht. Noch immer gestaltet sie Internetseiten, eine Arbeit, die Türen öffnete, wie sie anmerkt. Durch kommerzielles Webdesign im SM- und Fetischbereich hat sie sich in der Branche einen Namen gemacht und bekam Zutritt hinter die Kulissen einer bizarren Welt. Sie stellt die Menschen der Szene in den Vordergrund, nicht das Was oder wie sie es tun. Sie wertet nicht und schafft es, eine Ambivalenz zwischen Nähe und Distanz, Anziehung und Abstoßung herzustellen.

Zwischen 2004 und 2009 entstand eine Serie von Fotografien und Zeichnungen, die 2009 in ihrer ersten eigenen Ausstellung „Berlin Bizarre“ in der Galerie Friedrichshöhe gezeigt wurde. „Es war mein bislang größter Erfolg“, sagt Schmidt. Durch die Arbeit in der Szene und ihre Begeisterung für Musik, Film- und Schnitttechniken wurde schließlich ein Fotoshooting in Beelitz möglich. Dessen professionelle Aufnahmen wurden in einem dreieinhalb Minuten langen Film verarbeitet, der auf dem Kieler Fetisch Filmfestival als bestes Musikvideo ausgezeichnet wurde.

Momentan ist sie von der blauen Stunde fasziniert, der Zeit, in der das Dunkel der Nacht langsam verschwindet, während die Sonne Vorboten ihrer Helligkeit vorausschickt. Viel Zeit ist es nicht, die ihr bleibt, um das Licht in dieser kurzen Phase zwischen Nacht und Sonnenaufgang auszunutzen. Es ist wie die Aufnahme eines Moments unmittelbar vor der Veränderung. „Das Licht in dieser Zeit enttäuscht selten“, sagt Schmidt. Kein Ort ist ungeeignet, alles ist in diesem Moment wert, fotografiert zu werden. Deshalb heißt dieses neueste Projekt von ihr auch „Stadt, Land, Fluss“, sie fotografiert in Berlin und Umland.

Pläne hat sie viele. Ihr schwebt eine Serie mit Makro- und Nahaufnahmen vor, sie möchte „mit kleinen Dingen experimentieren, um sie ins Große zu transformieren“. Sie möchte der Reizüberflutung entkommen, wieder mehr zeichnen, mehr mit alten Techniken und ihren alten Kameras arbeiten. Sie würde gern in die Mongolei reisen, die weite Natur dort fotografieren. Porträts, vielleicht von Kampfsportlerinnen, seien ebenso möglich. Die entspannte, aufgeschlossene Art, in der Schmidt über ihre Zukunftspläne spricht, und ihre Offenheit lassen erahnen, dass ein Leben nicht genug sein wird.

■ KaffeeRaum Prenzlauer Berg, Bötzowstr. 25, bis 15. Oktober