Da hilft nur noch tanzen

GOB SQUAD Der Körper, der Tod, die Frage nach Kindern – darum dreht sich „Dancing About“ im Roten Salon der Volksbühne

Performance als Therapie – warum nicht?

VON RENÉ HAMANN

Die Ankündigung, es solle ums Tanzen gehen, löste natürlich zunächst einmal Angst und Verwirrungszustände aus bei den Fans von Gob Squad. Gob Squad machen Tanztheater? Schauerliche Vorstellung.

Im Roten Salon bei der Premiere am Donnerstagabend zeigt sich aber schnell, dass Gob Squad, das wendige, fast seit zwanzig Jahren aktive Performance-Ensemble aus Nottingham, mittlerweile nahezu komplett in Berlin ansässig, natürlich etwas ganz anderes unter Tanztheater versteht als etwa professionelle Tänzer oder die Erben von Pina Bausch.

Fünf Menschen in Insektenkostümen und eine Gottesanbeterin im Glas, Technomusik, alte, etwas abseitige Hits, die für den nötigen Distinktionsgewinn sorgen, Performance, Tanztherapie und persönliche Probleme, die ins Allgemeine gehoben werden und umgekehrt: Darum geht es in dem neuen Stück des Ensembles „Dancing About“ unter der Leitung von Christina Runge, ausgedacht wie immer vom Gob Squad selbst.

Es werden also Formationen getanzt, Figuren angedeutet, und schnell wird klar, dass der Tanz hier für etwas anderes steht. Schließlich ist das auch einfach auf eine charmante Art zu dilettantisch, was Johanna Freiburg, Sean Patten, Tina Pfurr, Sharon Smith und Berit Stumpf da aufführen. Es geht mal wieder mehr um den Text. Und der Text, der hier in Sentenzen zwischen und in den Tänzen ins Mikrofon gesprochen wird, hält sich an ein „Wir“ und versucht, die Umrisse einer Generation und das Unbehagen der Körper zu zeigen.

Das reicht dann irgendwie von „Wir masturbieren, um uns zu entspannen“ über „Wir hassen Verwandte“ bis zu „Wir kauen unsere Fingernägel ab, weil wir das schick finden“. Immer wieder werden Aussagen dann hinterfragt, bloßgestellt, danach durch Einzeltext gerechtfertigt.

Es geht um die Körper, um den Tod, das Leben, die Frage nach Kindern, ein wenig um die sozialen Zusammenhänge, allerdings gar nicht so sehr. Das heißt also, es geht um die gefühlten Erscheinungen des Lebens ab Mitte dreißig, wenn die Blütezeit der Körper definitiv vorbei zu sein scheint und der Tod zumindest schon mal im Elternhaus wütet.

Das hat so natürlich etwas von Therapie. Performancetheater als Therapie für Schauspielende am Rande ihrer Lebenskrisen. Und warum auch nicht. Gob Squad verzichten diesmal zum großen Teil auf Humor, meiden aber auch das Pathos. Es ist auch nicht Diskurs in einem postmodernen Sinn, der hier stattfindet, es findet keinerlei Dialog statt, auch will der Text auf keine weiteren Ebenen hinaus. Der Text wird parallel auf die Videoleinwand im Hintergrund geschrieben – über das Bild zweier kleiner Kameras, die das Ensemble durch das Insektenglas hindurch oder von oben zeigen.

Wie bei Gob Squad üblich, ist der Text meist auf Englisch – und zwar in einem besonders schönen Englisch, vermutlich direkt aus Nottingham. Auf der Leinwand wird er synchron übersetzt, was nicht immer gleich gelungen ist: So wird aus dem „policeman“, mit dem wir es einmal getrieben haben, dann der „Polizeimann“ statt des Polizisten. Na, vielleicht auch Berufskrankheit meinerseits: Der Text muss immer besser werden.

Die Atmosphäre während dieser Premiere im Roten Salon war dem Ganzen sehr zuträglich. Es war gemütlich und familiär; die Koautoren wie Laura Tonke und der inzwischen ehemalige HAU-Intendant Matthias Lilienthal saßen direkt an der Bühne, das restliche Publikum war klein, aber fein.

Im großen Haus der Volksbühne würde das charmante, immer etwas kaputte und dilettantische Konzept von „Dancing About“ vermutlich nicht funktionieren: Der Tanz, in dem sich am Schluss auch alles auflöst, was auch unsere Begeisterung fürs Tanzen erklärt, nämlich eben als Therapieform, als Befreiung von den ganzen alltäglichen Problemen, Defekten und Grübeleien – der Tanz müsste im großen Haus zu anderen Formen finden. Die Choreografie geiler, die Performance schlüssiger, die Dramaturgie dichter werden.

So aber reichte es für einen gelungenen Abend. Im Sommer, als das Ensemble eine ganz eigene Interpretation des Tennisspiels in der Anlage am Grunewald im Zuge der unglaublichen, exzessiven „Unendlicher Spaß“-Inszenierung zeigte, war es natürlich unvergleichlich lustiger und schlüssiger gewesen. Identitätskritik wurde direkt mitgedacht, nicht nur wie hier schlicht dargelegt.

Aber vielleicht sind wir (sic!) ja auch tatsächlich längst über diesen Punkt hinaus – wir können die Kritik an unserer Problematik einfach nicht mehr mitdenken. Die Defizite sind zu stark, die Körper verfallen zu schnell. Da hilft nur noch tanzen. Kopf abschalten und tanzen. Die Musik, um mal FSK zu zitieren, findet schließlich immer nach Haus.

■ „Dancing About“ läuft im Roten Salon wieder 10., 23., 24. + 30. November, 1. Dezember