Das Standardwerk weiblicher Sexualität

FRAUENKÖRPER Laura Méritt hat den Klassiker „Frauenkörper neu gesehen“ aktualisiert und wieder aufgelegt. Der ungetönte Blick auf den Frauenkörper ist nötiger denn je, sagt die feministische Sexpertin

Den weiblichen Körper mal umfassend und positiv darzustellen – das war das Ziel, als „Frauenkörper neu gesehen“ 1987 in der ersten Auflage erschien. Frauengesundheitszentren hatten zuvor darauf hingewiesen, dass in der Wissenschaft Frauen in der rein anatomischen Beschreibung als mangelhafte Wesen dargestellt wurden. Dr. Laura Méritt hat mit einem Team das Buch aktualisiert und erweitert, am Freitag um 19.30 Uhr stellt sie in der Urania ihre Neuauflage vor und lädt zu Diskussionen ein. „Frauenkörper neu gesehen: Ein illustriertes Handbuch“ erscheint im Orlanda Frauenverlag, hat 200 Seiten und kostet 24,50 Euro.

■ Buchvorstellung: Urania, An der Urania 17, Freitag, 19.30, 5/6 €

VON TANIA WITTE

Huch, da ist ja Schamhaar auf dem Cover! Der Onlinebuchhändler Amazon war offensichtlich so verschreckt, dass er einen dicken schwarzen Balken draufklatschte, und zwar nicht nur über die Haare, sondern auch gleich über die Zeichnung von Eierstöcken und Gebärmutter auf der nackten Frauenhaut. Sind anatomische Zeichnungen also obszön? Amazon spricht lapidar von „technischen Schwierigkeiten“ – ein Sinnbild für alles, worum es in „Frauenkörper neu gesehen“ geht.

Dr. Laura Méritt hat mit einem Autor_innenteam das feministische Kultbuch der 1980er Jahre neu aufgelegt. Für sie zeigen Verrenkungen wie die von Amazon, wie aktuell das Thema ist: „Es gibt bis heute kein anderes Buch, das die gesamte weibliche Anatomie positiv und zusammenhängend darstellt. Das Original ist seit Jahren vergriffen“, bedauert sie. „Nirgends sonst finden sich detaillierte Abbildungen der Klitoris oder ihrer verschiedenen Erregungsstadien! Auch die Prostata und Ejakulationsdrüsen, aus denen das weibliche Ejakulat kommt, sind kaum bekannt.“

In ihren wöchentlichen Salons, in denen sie „Sexclusivitäten und Beratungen“ anbietet, stellt die Linguistin, Lachforscherin und Sexpertin Laura Méritt immer wieder fest, dass die wenigsten Frauen Bescheid über ihren Körper wissen. Das überrascht kaum, wurde doch weibliche Sexualität über Jahrhunderte hinweg so marginalisiert, dass es nicht einmal Worte gab, mit denen Frauen über ihre Körper hätten sprechen können. „Wenn du keine Bezeichnungen für deinen Körper hast, existierst du schlicht nicht. Das zu ändern liegt mir als Linguistin besonders am Herzen. Deshalb haben wir auch eine Wortgeschichte der weiblichen Sexualorgane beigefügt.“

Und nicht nur das. Herzstück des Buchs bilden wie auch schon beim Original über 200 anatomische und sehr detaillierte Zeichnungen von Frauenkörpern und -körperteilen. Die Neuauflage von „Frauenkörper neu gesehen“ ist aber auch umfassend erweitert und aktualisiert, neue Kapitel zu Identität, Safer Sex und Intimchirurgie sind hinzugekommen. Besonders Letzteres ist leider auf dem Vormarsch. In Zeiten, in denen die durchschnittliche heterosexuelle Frau fremde Vulven oftmals lediglich von glattpolierten Pornobildern kennt, steigt die Verunsicherung über die eigene „Normalität“. In den USA sind intimchirurgische Eingriffe seit Jahren Usus. „Die Operationswut verbreitet sich auch in Deutschland. Der Normierungsdruck, dass Frauen ein bestimmtes Bild erfüllen sollen, ist größer geworden.“ Eine fatale Entwicklung, findet Laura Méritt, die sich mit der PorYes-Kampagne für frauenfreundliche und realistische Pornografie engagiert. Eine Aufweichung dessen, was „normal“ ist, lässt sich nur durch Wissen und Selbstermächtigung vermitteln, findet sie.

Folgerichtig bemühen sich die Autor_innen des Buchs um kreative Umbenennungen: Schamlippen werden zu „Charme-Lippen“, der G-Punkt (ja, es gibt ihn, natürlich gibt es ihn!) zur „Genussfläche“, das Ejakulat zum „Freudenfluss“. Das ist gewöhnungsbedürftig und wirkt häufig bemüht; immerhin ist es ein Ansatz, überflüssige Scham bei der Benennung weiblicher Geschlechtsteile zu ersetzen.

In leicht verständlicher Sprache und mit vertraulichem Du bietet das Buch einen sicheren Ort, an dem sich stöbern, nachschlagen und (er)forschen lässt. Häppchenweise können sich die Lesenden gynäkologische Untersuchungen erklären lassen oder sich gleich selbst untersuchen, die Klitoris in all ihren Facetten ergründen, Informationen über sexuell übertragbare Infektionen, Empfängnisverhütung, Schwangerschaftsabbruch sammeln oder sich mit und Genitalbeschneidung auseinandersetzen. „Frauenkörper neu gesehen“ nimmt die Hand von den Augen der Frauen und legt deren Finger dahin, wo es guttut, und dahin, wo es wehtut.

Besonderen Wert legt das Kollektivwerk darauf, die Vielfalt der Frauenkörper abzubilden. Jedes Kapitel beginnt mit einer Zeichnung der spanischen Künstlerin Beatriz Higòn. Die Modelle dafür akquirierte Méritt – wen wundert’s? – in ihren Salons. Sie sind jünger oder älter, haben verschiedene Körpertypen und Ethnien, tragen Brille oder Socken, Tattoos oder Gretchenzöpfe. „Wir leben in einer Zeit, in der alles Künstliche als normal angesehen und zum Wunschbild wird. Dieser Übermacht der Bilder und Normen wollen wir etwas entgegensetzen“, resümiert die Herausgeberin. „Wir wollen den Frauen eine Bastion bieten, damit sie sich selbst neu sehen können.“ Sie endet mit ihrem Lieblingssatz: „Wissen macht sexy!“