Projektraum Berlin

KOLLEKTIVE Sie tragen viel zur Sichtbarkeit der Kunst und zu ihrer öffentlichen Diskussion bei: die Projekträume. Erstmals gibt es eine empirische Studie dazu

Eine rote Schaukel in einem Glashaus, Vorsicht!, ruft der Verstand, das gibt gleich Bruch. Dann schaut man ein zweites Mal hin und ist beruhigt: Der Ausschlag des Pendels ist nicht so groß, dass die Wände des Gewächshauses in Gefahr wären. Aber ein Bild von einer prekären Situation liefert die Installation von Sybille Hotz doch. Sie ist bei „super bien!“ zu sehen, in einem Gewächshaus für zeitgenössische Kunst, das Anne Katrin Stork in einem Hinterhof in der Schwedter Straße 232 betreibt.

Über 50 Ausstellungen hat Stork seit der Gründung 2006 in dem Glashaus gezeigt, das Tag und Nacht einsehbar ist. „super bien!“ ist einer von 150 freien Berliner Projekträumen, die sich vor drei Jahren zu einem Netzwerk zusammenschlossen. Über deren prekäre Situation gibt es nun erstmals eine empirische Studie von einer jungen Kunstsoziologin, Séverine Marguin. „Wenn Berlin die „Künstlerwerkstatt Europas“ ist,“ schreibt Marguin, „so sind die Projekträume ihr vitales und dennoch fragiles Herz.“ Sie hat ihre Ergebnisse in der Kunstzeitschrift von hundert und an einem Abend, zu dem das Netzwerk der Projekträume ins Haus der Kulturen der Welt einlud, vorgestellt.

Da saßen sie nun, die Künstler, die meist einen Großteil ihrer Energie in die Präsentation ihrer Kollegen und den Austausch mit anderen Kunstszenen stecken, und nickten zu Marguins Zahlen. Dass 71 Prozent der Projektraum-Aktiven ehrenamtlich arbeiten, dass 67 Prozent der Räume und Initiativen mit einem Jahresbudget unter 5.000 Euro wirtschaften müssen, wissen sie natürlich am besten. Aber mit den Zahlen, die Séverine Marguin aus einer Umfrage unter 60 Initiativen abgeleitet hat, hoffen sie nun doch ihre Leistung für die Attraktivität des Kunststandorts Berlin besser darstellen zu können. Auch gegenüber Kulturpolitikern.

Motivation zur Kreativität

Marguins Zahlen dokumentieren auch, wie viel die nicht marktorientierten Projekträume zur Sichtbarkeit der Kunst in Berlin beitragen. Fast jeder zweite Künstler stellt dort einmal innerhalb von drei Jahren aus. Ungefähr 750 Einzel- und Gruppenausstellungen stemmen die Projekträume im Jahr, dazu kommen Konzerte, Theoriebrocken, Filme, Lesungen.

Andreas Koch, Künstler und Herausgeber der Zeitschrift von hundert spitzte im Podiumsgespräch im HdKW die Rolle der Projekträume zu: „Gäbe es die nicht, würde ich gar nicht anfangen zu arbeiten.“ Geschätzte 80-mal habe er in Projekträumen ausgestellt seit seinem Meisterschüler vor 14 Jahren. Nun ist Andreas Koch ein guter Repräsentant dieser Szene, durchaus erfolgreich, gemessen an seinen Förderungen vom Berliner Senat, Kunstfonds oder Goethe-Institut, renommiert ob seines Einsatzes für den Diskurs mit seiner Zeitschrift. Und er verdient auch mit seiner Kunst: 500 Euro im Monat im Schnitt, wie er sagt, Hälfte Förderung, Hälfte Verkauf; sein Haupteinkommen aber beruht auf der Gestaltung von Kunstbüchern.

Viele Projekträume haben nur eine kurze Geschichte, denn – das ist jetzt keine Überraschung – sie sind von günstigen Mieten und Zwischennutzungen abhängig. Ein Drittel wird von Vereinen betrieben, viele von Künstlergruppen, manche von Einzelkämpfern im eigenen Wohnatelier. Marguin hat ihre Geschichte bis in die siebziger Jahre zurückverfolgt; rapide steigt ihre Entstehung nach dem Mauerwegfall, als die Verknüpfung von Kunst- und Clubszene beginnt. In den nuller Jahren vermehren sich die markierten Orte, die Marguin auf einer Berlinkarte eingetragen hat, in Mitte und Kreuzberg explosionsartig – viele davon mit kurzer Lebensdauer. Wedding und Neukölln folgen als Standorte in diesem Jahrzehnt. Seit 2007 stagniert das Gründungsfieber, erstes Anzeichen für die Bedrohung der Szene durch steigende Mieten. Marguins interaktive Karte soll kommende Woche unter www.projektraume-berlin.net veröffentlicht werden.

Für die junge Französin ist die Studie Teil einer Doktorarbeit, in der es ihr um kollektive Strategien in der Kunst geht und um Künstlerkollektive aus Paris und Berlin. „In Paris gibt es ungefähr zehn Projekträume heute“, sagt sie, und natürlich sei „der Mythos von Berlin“ groß.

Mit Blick auf den Kunstmarkt, von dessen Umsätzen so wenig Mittel in der Szene der Projekträume landen, fragte Marguin, ob die Kunsträume eigentlich eine Parallelwelt bildeten, ohne Chance auf ökonomische Teilhabe. Ihr antwortete Leonie Baumann (Rektorin Kunsthochschule Weißensee), die eigentliche Parallelwelt sei der Kunstmarkt. Denn die gut verdienenden Galerien und die gut verdienenden Künstler bilden eben nur eine kleine Gruppe.

Das Netzwerk der Projekträume arbeitet daran, Anerkennung vonseiten der Kulturpolitik zu erhalten. Dieses Jahr hat die Senatsverwaltung für Kultur zum ersten Mal einen Preis für Projekträume ausgeschrieben, siebenmal stehen 30.000 Euro zur Verfügung. Ob das denn nun gerecht sei, viele Stimmen aus dem Publikum im HdKW fanden das nicht. „Na ja“, meinte Andreas Koch, „die Ausgezeichneten können sich ja überlegen, etwas von dem Geld zu verschenken“.

KATRIN BETTINA MÜLLER