Tür auf, Tür zu, kreisch, kreisch

VERWECHSLUNGSKOMÖDIE Lächerlicher Reigen der Frivolitäten: Philip Tiedemann inszeniert „Floh im Ohr“ im Berliner Ensemble

Einfältige Figuren in anzüglichen, absurden Szenen. Gebuhlt wird auf Umwegen

Auf der Bühne herrscht amouröses Durcheinander. Eine junge Frau, die sich gerade noch ihren Liebhabern hingab, flieht ertappt vor ihrem wesentlich älteren Ehegatten. Im Kreise laufend geben sie sich die Türklinken in die Hand. Irgendwann wird sie des unsinnigen Flüchtens müde, sinkt erschöpft auf den Boden und streckt ihre Arme in die Luft. Ihrem atemlos bei ihr angelangten Gatten nimmt sie mit besänftigender Stimme den Wind aus den Segeln, leugnet frech die Untreue, die ihr Gatte gerade noch gesehen zu haben glaubt.

Verschlungene Irrwege

Einfältige Figuren in anzüglichen, absurden Szenen: Sie sorgen in Philip Tiedemanns Neuinszenierung von Feydeaus „Floh im Ohr“ am Berliner Ensemble immerhin für temporeiche Unterhaltung. Lustvoll gebuhlt wird auf verschlungenen Irrwegen oder Umwegen.

Georges Feydeau war Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinen Komödien der beliebteste Pariser Autor des Boulevardtheatergenres Vaudeville. Sein heute noch viel inszeniertes Lustspiel „Floh im Ohr“ von 1907 karikiert die brüchig werdenden Normen des Bürgertums um die Jahrhundertwende. Es überspitzt Ängste und Lüste der Bürger der Belle Époque.

Diese Boulevard-Spannung in die heutige Zeit zu transportieren und dabei nicht altmodisch wirken zu lassen ist eine Herausforderung. Die Inszenierung einer artverwandten, schlüpfrigen Verwechslungskomödie von 1913 meisterte dies jüngst vorzüglich: „Die (s)panische Fliege“ an der Volksbühne, in der Regie von Herbert Fritsch, brachte es sogar zu einigem Ruhm. Bei Fritsch sorgten die Figuren, die nicht nur durch grotesk aufgetürmte Frisuren überzeichnet waren, durch Sprachwitz und geschickte Choreografie für schreiend komisches Vergnügen. Ein ähnliches Potenzial bietet die Verwechsungskomödie von Feydeau, deren Situationskomik meist berechenbar unter die Gürtellinie zielt.

Schnelles, gut koordiniertes Tempo und bemerkenswerter Körpereinsatz der Akteure reißen jedoch irgendwann nicht mehr mit in Tiedemanns Inszenierung. Running Gags wie ein sich drehendes Bett auf der Bühne, in welchem stets nicht der Erwartete liegt, wirken bald ebenso überdreht wie das Lustspiel. Es fällt mitunter schwer, die zahlreichen Figuren auseinanderzuhalten. Einige Nebenfiguren bleiben auf undankbare Rollen beschränkt. Nicolai Despot spielt etwa einen trampeligen Hotelgast, der in voller Rugby-Montur jede Frau bespringt, die ihm zwischen die Beine kommt. Sein Bühnentext beschränkt sich darauf, zu erfragen, ob eine Nachricht für ihn hinterlassen wurde. Uninspiriert erscheint auch das karge, metallene Bühnengerüst, das leider auch beim neuen Schauplatz im Stundenhotel beibehalten wird.

Wenn zu guter Letzt dann vermehrt gekreischt wird, entgleitet die Komik der frivolen Türknall-Verwechslungsfarce ins allzu Erzwungene. Obwohl Tiedemann für seine Inszenierung die Übersetzung aus dem Französischen von 1986 von niemand Geringerem als Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek wählte, bleibt auch das Sprachniveau der turbulenten Komödie seicht und flach. Vielleicht ist die Zeit, in der Feydeaus Schwank noch als Kritik an bürgerlicher Doppelmoral auf der Bühne mitriss, nach über hundert Jahren endgültig passé.

ANSGAR SKODA

■ Wieder am 27./28. Mai im Berliner Ensemble