Wie ein Blues von Bach

BÜHNE In „Das Schottenstück. Konzert für Macbeth“ deutet David Marton die Tragödie von William Shakespeare mal aus einer musikalischen Perspektive – am Ende bleibt es an der Volksbühne aber bei einer Ideensammlung

Etwas von einer die Zeiten durchbohrenden Sehnsucht scheint in dieser Musik auf

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Träumen Frauen von starken Helden? Sind rettende Ritter und Mörder auf dem Weg zum Königsthron eigentlich Frauenfantasien? Die jüngsten Inszenierungen von Michael Thalheimer, seine „Jungfrau von Orleans“ am Deutschen Theater, und von David Marton, dessen „Schottenstück. Konzert für Macbeth“ am Mittwoch in der Volksbühne Premiere hatte, legen diese Lesart der klassischen Dramen von Schiller und Shakespeare nahe.

Im Deutschen Theater steht Kathleen Morgeneyer als Jungfrau von Orleans fast zwei Stunden lang im Lichtstrahl auf einer sonst dunklen Bühne, während der König von Frankreich, den sie retten will, und die Ritter, die sie mit ihren Visionen mobilisiert, aus dem Schatten hinter ihr sprechen. Im „Schottenstück. Konzert für Macbeth“ ist Letzterer eher nur als Statist unterwegs, der kalte Fußbäder nimmt, um die Erregungskurven herunterzudimmen, die seine Frau, Lady Macbeth, ergreifen. Thorbjörn Björnsson spielt ihn, ein Bariton aus Skandinavien, der mitten im Gespräch mit Lady Macbeth, die nach Details hungert, ob es vorangeht auf dem Weg zum Königsthron, in eine skandinavische Sprache wechselt und über Kopfhörer einer Fußballreportage folgt. Seine Stimme steigert sich, steuert lautmalerisch auf einen Höhepunkt zu – und fällt enttäuscht in sich zusammen. Mit den Seufzern des unerfüllten Begehrens wälzt sich die Lady neben ihm.

Nun ist die Fokussierung auf sie als eigentlicher Motor hinter den Morden von Macbeth zwar keine neue Interpretation, aber selten wird sie so weit getrieben, dass ihre Rolle als einzige übrigbleibt. Lilith Stangenberg ist denn auch die einzige Schauspielerin mit Shakespeare-Text in einem Ensemble von Musikern, die die übrigen Rollen mehr als Statisten markieren. Vor allem aber machen sie Musik, die einzelne Elemente der Geschichte mit anderen Mitteln erzählt.

Ein trauriges Stück von Bach, das auf einer Violine einsetzt, während Lady Macbeth versucht, ihren wie eine schlappe Puppe immer wieder wegrutschenden Mann in einer Herrscherpose zurechtzuzupfen, wird bald vom ganzen Ensemble begleitet, mit Melodica, E-Gitarre und Trompete und bekommt dabei etwas von einem wilden Blues. Etwas von einer die Zeiten durchbohrenden Sehnsucht scheint in dieser Musik auf, historisch und emotional weitet sich der Horizont. Dann aber frisst sich die Musik in einem Ton fest, Finger hacken ihn in die Melodica, die Trompete stülpt sich über das Mikro, was eben noch weit war, zieht sich zusammen und verkrampft. Angststarr. Und man hört Stangenberg von der Nacht erzählen, in der „Macbeth den Schlaf gemordet hat“, nebst einigen Gästen seines Hofes.

Das ist ein ebenso sprechender Moment der Inszenierung wie ein Song von Nina Simone, „Tomorrow is my turn“, den Stangenberg mit unsicherer Stimme vorträgt. Er erzählt von einer Selbstermächtigung, von dem Punkt, an dem sich das bis dahin enttäuschende Leben endlich mit seinen guten Seiten auch der Singenden zuwendet – und ist dabei stets vom Unglauben an dieses Versprechen unterlegt. Deshalb passt es, wenn Stangenberg singt, als traue sie sich kaum, als wären die Worte Anmaßung. Lady Macbeth’ Angst davor, dass nichts so wird, wie sie imaginiert, bekommt damit einen anderen Aspekt unterlegt. Ihr Macht- und Lebenshunger als der einer konsequent von der Teilnahme am Glück Ausgeschlossenen.

Aber trotz solch starker Momente ist „Das Schottenstück“ längst nicht so gelungen wie frühere Arbeiten von David Marton: etwa „Die Heimkehr des Odysseus“ an der Schaubühne (2011). Da war durch die musikalisch geöffneten Räume, die Stärken der Schauspieler und die Collage der Texte ein inhaltlich komplexes Gewebe entstanden. Diesmal hingegen hat die Inszenierung viele Schwächen, die solcher Verdichtung entgegenstehen. Handwerkliches: Der Text säuft akustisch ab und wird unverständlich. Die Musiker bleiben schauspielerisch blass, und viele Szenen gehen im großen Bühnenraum fast verloren – sodass am Ende der Eindruck einer skizzenhaften Ideensammlung bleibt.

■ Wieder an der Volksbühne 10. + 19. Oktober, 3./11./26. November