EINE ETAGE HÖHER
: Kopf hoch

Im 2. OG unserer Stadt geht’s voll ab

Ich sitze so in der U-Bahn, und irgendwas ist anders als sonst. Ich schau mich um, aber die Leute sind’s nicht; die sind gestresst und genervt, wie fast immer in der Bahn in Berlin. Anderswo vielleicht auch, aber anderswo war ich lange nicht, es sei denn, Pankow zählt. Da komm ich nämlich gerade her, aus Pankow, genauer gesagt: von einer Feldenkrais-Liege in Pankow. Auf der Liege lag ich und wurde behandelt. Was Feldenkrais ist, kann ich nicht gut erklären; ich kann nur sagen, dass ich nach so einer Sitzung immer gut drauf bin, aber komisch laufe und stehe. Aber jetzt sitze ich ja, und zwar in der U-Bahn.

Und immer noch ist irgendwas anders als sonst. Ich schaue und schaue, die Leute sind’s nicht; ich schaue weiter, draußen die Häuser, die Bäume, Balkone. Ich seh einen mit unglaublicher Deko und dann einen mit Action: eine Frau, die ihren Weihnachtsbaum rausstellt, und nicht nur stellt, sondern schmeißt. Der Baum ist uralt, Weihnachten lange vorbei, und deswegen wohl schmeißt sie ihn einfach so runter über die Brüstung. Ich gucke und staune, weniger über den Baum, der da fällt, als darüber, dass er dies vom zweiten Stock aus tut. Denn die Balkone im zweiten OG hab ich noch nie vorher gesehen, fällt mir auf. Das ist auch, was anders ist als sonst: sonst schaue ich nur auf die Balkone im ersten OG. Aber jetzt sitzt mein Kopf irgendwie höher; ich bin durchs Liegen auf der Liege wohl gewachsen. Klasse ist das.

Ich dreh mich zu den Leuten in der Bahn und öffne den Mund, aber dann schließ ich ihn wieder. Die Leute gucken noch immer gestresst, genervt, und wenn ich denen jetzt zuruf’: „Guckt mal, bin gewachsen!“, machen die mich glatt ’nen Kopf kürzer. Und dann wär’s gleich wieder vorbei mit größer sein und zu den Balkonen ’nen Stock höher als sonst schauen. Und das wär doof, denn da geht’s ja voll ab im 2. OG unserer Stadt. JOEY JUSCHKA