ÜBER EINEN VERWÜRZTEN BERLIN-KRIMI VON MARTIN GENAHL
: Auch hartgekocht sind Herrenwitze nicht genießbar

VON JÖRG SUNDERMEIER

Der sogenannte Regionalkrimi hat in Deutschland seit 1990 eine merkwürdige Karriere gemacht und den klassischen Krimi, wenn nicht verdrängt, so doch um große Marktanteile gebracht. Ein Regionalkrimi liegt vor, wenn auch „XYs dritter Fall“ noch immer vor der Kulisse des Eggegebirges oder in einer Luxemburger Gourmetküche untersucht wird. Dazu braucht es dann noch ein wenig Dialekt, Sehenswürdigkeiten, die jedermann kennt, regionale Speisen und einen irgendwie gearteten Fall. Wenn man so will, ist also Agatha Christies Roman „Tod am Nil“, den man aus unerfindlichen Gründen noch nicht mit dem Sticker „Hercule Poirots fünfzehnter Fall“ bewirbt, ein Regionalkrimi aus Ägypten. Doch es geht ja nicht um ferne Länder, sondern um die Heimat und ihre Vorzüge.

Seit einigen Jahren nun ist auch die Hauptstadt zum Handlungsort von Regionalkrimis auserkoren worden. Da es sich um eine in puncto Landschaft und Küche eher karge Region handelt, muss die Heimat anders in Szene gesetzt werden. Der auf Föhr lebende Autor Martin Genahl nun hat einen „historischen Kriminalroman“ geschrieben, der auf den aufmerksamkeitsheischenden Titel „Der Tag, an dem es Kapitalisten regnete“ hört.

Es geht darin um den Musiker Max Gerepolski, den seine Freunde „Wahni“ rufen, einen linksgerichteten Hallodri, der mit dem Tod seines Bruders konfrontiert wird, eines Börsenmaklers, der am Schwarzen Freitag im Jahre 1929 aus dem Fenster gefallen ist. Wurde er getötet? Die Polizei ist mit den Ermittlungen überfordert. Max beginnt daher, sich umzuhören, muss aber gleichzeitig seine Band zusammenhalten. Er wird dabei in Auseinandersetzungen mit Nazis hineingezogen, verliert Freunde, über deren Verlust ein kühles Bier hinweghilft, und säuft sich schließlich irgendwie der Lösung des Falles entgegen.

Während Max von Ereignis zu Ereignis und von Auftritt zu Auftritt stolpert, verlieren die Leserinnen und Leser allmählich das Interesse. Dabei beginnt Genahl, der auch Musiker ist und sogar eigens für dieses Buch einen Song geschrieben zu haben scheint (als Komponist firmiert Max Gerepolski), seinen Roman mit einer durchaus mitreißenden Beschreibung eines Gigs der Band Grammofox, die Gerepolski leitet. Aber schnell verliert Genahl die Lust an Zitaten aus den Songs der 20er Jahre und macht – in Rollenprosa – einem ziemlich unappetitlichen Bedürfnis Luft: Gerepolski und seine Freunde nämlich pflegen den Herrenwitz. Die Rolle der Frau in diesem Buch ist dagegen die einer mondänen Femme fatale oder einer Verräterin; selbst dort, wo Frauen modern sind, ist der Mann doch trotzdem der unanfechtbare Schürzenjäger, der immer einen coolen Spruch auf den Lippen hat, wenn er nicht gerade Alkohol in sich hineingießt.

Genahl versucht somit etwas Hard-boiled-Atmosphäre in seinen „historischen Kriminalroman“ zu bringen, doch Berlin ist nicht New York oder L. A. So aber verwürzt er sein ganzes Buch, was ihm selbst aufgefallen sein muss, denn den zweiten Teil hat er lustlos heruntergeschrieben. Für Genahl scheinen sowohl Berlin als auch die 20er Jahre als Kulisse versagt zu haben. Auf „Max Gerepolskis zweiten Fall“ jedenfalls werden nicht viele warten.

Jörg Sundermeier ist Verleger des Verbrecher Verlags

■ Martin Genahl: „Der Tag, an dem es Kapitalisten regnete“. Emons Verlag, Köln 2014, 176 Seiten, 10,90 Euro