Jawollomatchen Keulo

SINGSPIEL Die Neuköllner Oper bringt mit „Didi und Stulle“ die Comic-Prolls auf die Bühne – ein echtes Spektakel

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Die Oper hat ihre Stoffe ja schon immer der Literatur entnommen, die Barockoper bezieht ihr Personal gerne aus Götter- und Heldensagen, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis „Didi und Stulle“, die beiden Schweine aus dem märkischen Viertel, den Comic verlassen und auf der Opernbühne landen würden.

Die Figuren des Comiczeichners Fil berlinern sich in der Zitty seit Jahren mit Wortwitz, Kalauern und philosophischen Betrachtungen durch sämtliche Welten vom Hades zum Nordpol, ins All und nach Sachsen-Anhalt. Regisseur Eike Hannemann hat an der Neuköllner Oper nun eine Barockoper aus den Abenteuern der beiden gestrickt.

Natürlich ist es auch total albern, wenn nach der Ouvertüre das Rezitativ mit den Zeilen „Stulle die dumme Pottsau – da kommta ja“ beginnt oder eine Arie „Im Frühling, Alta, kriegst ’nen Dicken“ heißt. Aber dem Komponisten und musikalischen Leiter Matthias Herrmann ist es gelungen, ein Genre gleichzeitig zu parodieren und zu erfüllen. Die Sänger können wirklich singen, Streichquartett, E-Gitarre und Schlagzeug schaffen retrobarocke Klangmonumente und schwenken dann gekonnt zu Heavy Metal, Disco, dem Schreittanz mit Blockflöte oder Hip-Hop über.

Stulle auf den Knien

Da zwischen dem großen, grobschlächtigen Didi und dem kleinen schüchternen Stulle auch auf der Bühne der Größenunterschied gewahrt werden muss, singt und rutscht Stulle (Fabian Martino) durchgehend auf Knien über die Bühne. Didis (Lars Feistkorn) schöner voller Bass driftet lediglich bei den Hardrockeinlagen ins Rammsteineske ab. Dabei erinnert seine Gestik stark an die des Voll-Normaaal-Comedian Tom Gerhardt. Aber vielleicht kennt man im Bühnenfach nur eine einzige Proll-Körpersprache.

Hervorragend besetzt sind auch die Nebenfiguren, vor allem Barbara Ehwald, die als Hipster-Studentin, Käfer, Friedrich Nietzsche und Gott schauspielerisches Talent zeigt und mit ihrem glockenhellen Sopran auch im Liegen, beim Strampeln und als Puppenspielerin schwierige Passagen sicher intoniert. Eher für die schrilleren Töne zuständig ist die bekannte Jazzsängerin Pascal von Wroblewsky in der Rolle als Stulles Mutter. In ihrem ausladenden roten Kleid wird die Walküre-Gestalt zur echten Augenweide.

Ausstattung und Kostüme sind sowieso rundweg gelungen: Didi und Stulle stecken in Rockshirts und Reifröcken – und unter so einer Krinoline lässt sich ja seit jeher einiges verstecken. Beim schwanzfixierten Didi sind es gleich ganze Penisdarstellerinnen. Dem Comicgenre wird mit Sprüchen und Denkblasen auf Pappschildern Rechnung getragen, das ganze Bühnenbild (Daniel Petrozzi) deutet mit räumlich versetzten Vorhängen die Prospekte der Barockoper an.

Nur das sprachliche Genie des Comiczeichners Fil geht in der Opernfassung ein wenig unter. Sein großer Verdienst, die phonetisch präzise Verschriftlichung des Idioms, kann naturgemäß auf der Bühne nicht sichtbar gemacht werden, und viele der genial erfundenen Fil-Berlinismen á la „Jawollomatchen Keulo“ gehen im Koloraturgesang unter.

Und natürlich hat so eine Barockoper auch ihre Längen, aber grade, als man anfangen will, sich ein klein wenig zu langweilen, tut sich wieder eine neue, surrealistische Szenerie auf, zum Beispiel die Hölle: ein verrauchter Ort, wo Easy Listening gespielt wird und Didi kartonstapelnd Sisyphusarbeit leisten muss. Aber am Ende siegt die Freundschaft sogar über die Hölle und im großen Schlusstableau findet man sich harmonisch im Quartettgesang zusammen.

So geriet „Didi und Stulle“ zu einer heiteren Opera Buffa, einem echten Spektakel, einer Volksoper im besten Sinne, die durchaus das Zeug hat, auch Musiktheaterskeptiker und wenig opernaffine Menschen mal in die Neuköllner Oper zu locken.

Das Premierenpublikum am Donnerstag war auch rundweg begeistert, der anwesende Zeichenkünstler Fil, der außer der Comicvorlage nichts mit der Produktion zu tun hatte, zeigte sich sehr zufrieden über die musikalische Fleischwerdung seiner Figuren, und das beseelte Premierenpublikum stand nach der Vorführung noch lange in angeregter, heiterster Stimmung im Hof der Neuköllner Oper zusammen.

■ „Didi und Stulle“ in der Neuköllner Oper, Aufführungen bis 20. Juli