Erst kam das Tanzen, dann der Sex

KINO Fassbinder für Arme. Schmuddelfilmer. Die deutsche Antwort auf Andy Warhol. Das sind die Labels, die mit dem Underground-Filmer Lothar Lambert in Verbindung gebracht werden. Heute feiert er seinen 70. Geburtstag

■ „Nackte Scham und schöne Schande – Lothar Lamberts Underground: Bilder, Filme, Leben“, Schwules Museum*, bis 6. Oktober 2014

■ „Lothar Lambert – Das dokumentarische Werk“, Retrospektive und neuer Film, 24. Juli bis 6. August 2014, BrotfabrikKino

VON ENRICO IPPOLITO

Fassbinder für Arme. Queerer Regisseur. Schmuddelfilmer. König des Trashs. Die deutsche Antwort auf Andy Warhol.

Labels, die mit Lothar Lambert in Verbindung gebracht werden. 37 Filme, davon 17 auf der Berlinale, und trotzdem kennen viele weder Lothar Lambert noch sein Werk. Er, der heute 70 Jahre alte wird, ist immer dem Underground verhaftet geblieben. Er, der beim Abend, der regionalen Berliner Tageszeitung, Journalismus gelernt und die Großen interviewt hat, blieb selbst im Verborgenen.

Lambert wird am 24. Juli 1944 in Thüringen geboren, wächst aber in Berlin in mehr oder weniger bürgerlichen Verhältnissen auf. Er studiert Publizistik, Theaterwissenschaft und Germanistik. Seine Magisterarbeit schreibt er über „Alexander Kluges Abschied von gestern und Edgar Reitz’ Mahlzeiten“. Sein Vater, „ein Universalgenie“, wie er selbst sagt, durfte nicht Biologie studieren wegen der Nazis. Als er aus dem Krieg zurückkam, war der Sohn schon auf der Welt. Der Vater musste Geld verdienen, machte Musik für die Amerikaner. „Aber so richtig warm geworden bin ich mit ihm nicht.“ Er lebt in Grunewald, in der Nähe von Hildegard Knef und Romy Schneider, die er später für den Abend interviewt.

Mittlerweile wohnt Lothar Lambert in Schöneberg. Treffen in einem Café. Der filmische Autodidakt ist immer noch mit all den Labels konfrontiert. „Bei ‚Trash‘ ist schwer einzuordnen, ob es ein Lob oder ein Vorwurf ist. ‚Underground‘ ist unverfänglicher, weil es durch die Amerikaner etablierter ist“, sagt er. Das Schwule Museum schreibt zur großen Retrospektive: „Lothar Lamberts Kino ist ein Plädoyer für Freiheit, Toleranz und alles ‚Queere‘. “ „Queer“, noch so ein schwammiger Begriff für Lambert. Ihn, der sich nie als schwuler Filmemacher verstand. Er, der Filme als Hobby verstand; der gerne die Kontrolle über alles hat und sich auch die Werbestrategien für seine Werke ausgedacht hat. In der Tat ist Lambert an dem Label „Die deutsche Antwort auf Andy Warhol“ selbst schuld, schließlich hat er sich diese Tagline ausgedacht. Trotzdem verwahrt er sich gegen jegliche Zuschreibung – außer die des Underground.

„Die Beschränktheit der Mittel muss ja nicht unbedingt einen bestimmten Stil mit sich bringen – wenn man aber mit dem Underground verbunden bleiben will, muss man auch einhalten, was damit verbunden ist“, sagt Lambert. Tabubrüche. Themen, an die sich keiner rantraut. Sexuelle Praktiken, die bei der Mehrheit der Bevölkerungen einen gewissen Ekel hervorrufen können. Lambert bediente das alles in seinen Filmen, denn „wer gibt schon gerne Geld aus, wenn er nichts zu sehen bekommt, weder Schauwerte à la Hollywood noch intime Einblicke ins Seelen- oder Körperleben der Leute“. Dabei geht es dem 70-Jährigen nicht um die reine Provokation. Es langweilt ihn, absichtlich zu provozieren. Seine Sexszenen sind Teil der Narration, kein Mittel, um das Publikum aufzugeilen, sondern, wie Lambert selbst sagt, „Teil des Triebschicksals“ der Charaktere.

Lambert war selbst mit der eigenen Nacktheit als Darsteller in seinen Filmen immer zurückhaltend und benutzte in „Ex und Hopp“ einen Dildo als Penisimitat. „Im echten Leben bewege ich mich zwischen den Extremem spießiger Beamter und ausgeflippte Tunte“, sagt er. Neben der Sexualität ist in Lamberts Filmen das Tanzen wichtig. Tanzen, eine Leidenschaft von Lambert, der sich immer zwischen dem damaligen Heteroclub Big Apple und den Schwulendiscos bewegte. Tanzen, die große Liebe von Lothar Lambert. Der Sex kam erst viel später.

Der spießige Beamte schien sich bis 1978 durchgesetzt zu haben. Erst dann, mit 34, cruiste Lambert durch den Tiergarten. Vorher wartete er immer draußen im Hellen auf seine Freunde und ging später, wenn sie, die Freunde, fertig waren, tanzen. Mit 34 Jahren erwachte sein Jagdinstinkt. Er begann zu cruisen, im Tiergarten, an dem Ort, dem er ein Jahr später einen Film widmete. „Es war eine Chance, für ein paar Stunden existenzielle Ängste zu vergessen“, sagt er.

37 Filme, davon 17 auf der Berlinale, aber viele kennen weder Lambert noch sein Werk

Sexualität. Tanzen. Und die Liebe zu den Marginalisierten. Hier schließt sich der Kreis Lamberts – filmisch und privat. Lamberts Liebe zu den Marginalisierten zeigt sich vor allem in „1 Berlin-Harlem“. Der Film, der für Kontroversen sorgte und 1982 nicht auf einer Retrospektive in Toronto gezeigt werden durfte – wegen einer Oralverkehrszene mit Dietmar Kracht und Conrad Jennings im Strandbad Wannsee. „1 Berlin-Harlem“ ist das vielleicht wichtigste Werk Lamberts. Der Film, in dem Rainer Werner Fassbinder mitspielt. Der Film, der nun im Museum of Modern Art in New York einen Platz hat. Der Film mit mehr als nur einer Oralsexszene. In „1 Berlin-Harlem“ quittiert ein in Westberlin stationierter Schwarzer seinen Dienst in der US-Armee und zieht zu seiner Freundin, die bereits ein kleines Kind von einem anderen hat. Nach einem Streit mit ihrer Familie bricht er mit ihr. Er findet zwar eine Arbeit und neue Wohnmöglichkeiten, begegnet aber weiterhin Rassismus, der sich auch in sexueller Zudringlichkeit äußert. Ein zum Teil biografischer Film, in dem Lambert seine eigene gescheiterte Beziehung zum Hauptdarsteller reflektiert. Die Liebe zu den Marginalisierten? „Reiche Leute langweilen mich. Ich bin nicht dran, interessiere mich nicht für Mode, exklusive Sportarten oder Luxusreisen.“

37 Filme, und der Regisseur sieht das Filmemachen immer noch als Hobby. Er hatte ja als Journalist einen Beruf, der ihn ernährte. Und das macht die Stärke von Lamberts Filmen aus. Er sagt, seine Filme wirken wie Dokumentarfilme, seien einer Zeit verhaftet, ohne einer Mode der Zeit verhaftet zu sein. Deswegen wirken die Filme Lamberts immer noch. Auch wenn er selbst nicht glaubt, dass sie noch provozieren. Dann erzählt er aber eine Anekdote, die das widerlegt. Der Kellner aus dem Schöneberger Café in der Nähe von Lamberts Wohnung hatte mitbekommen, wie Lambert interviewt wird. Daraufhin habe er Lambert angesprochen und er, Lambert, habe ihm eine DVD mitgebracht, „Zurück im tiefen Tal der Therapierten“. Einen Film, in dem der Bruder einer toten Radiomoderatorin seine weibliche Identität entdeckt, eine Kleinkunstkarriere startet und sich gleichzeitig zum Schädelfetischisten entwickelt. Das schockierte den Kellner offenbar doch. „Er war aber auch kein Berliner. Eingefleischte Berliner kann man nicht mehr schockieren“, sagt er.

Lambert arbeitet gerade an seinem letzten Film, dem 38. In „Verdammt noch mal Berlin – Fucking City Revisited“ will er noch einmal zu all den Berliner Orten, die in seinen Filmen eine Rolle gespielt haben. Ein Abschluss für ihn, der keinen Internetzugang hat, dafür jeden Tag alle Zeitungen liest und eine große Leidenschaft für Krimis hat – „aber nicht Mankell oder Leon“.

Das Schockierende an Lamberts Filmen sind nicht die Sexdarstellungen, sondern es ist das Moment des Authentischen, das ihnen innewohnt. Etwas, was Lambert selbst hat. Authentizität. Eine echte Leidenschaft für den Film. Und er liebt es, Filmquiz zu spielen. Lothar Lambert ist einer, der sich selbst durch und durch treu und immer authentisch geblieben ist, sich nie hat vereinnahmen lassen.