Die Ausweitung Lusitaniens

SECHS SAITEN Der portugiesische Gitarrist Norberto Lobo, der heute bei Wassermusik im Haus der Kulturen der Welt auftritt, führt in seiner Musik die Kontinente zusammen und verbindet Bossa, Folk, Blues und Neue Musik

VON TIM CASPAR BOEHME

Bei portugiesischer Musik denken manche Leser wohl zuerst an Fado, leichenbitter-melancholischen Gesang und schwarze Kleider inklusive. So ganz abwegig ist das nicht. Als Exportschlager steht Fado seit Jahren für die Musik des Landes schlechthin. Dass es auch noch ganz anderes Tonschaffen im westlichsten Land Europas gibt, wird da schon mal übersehen.

Norberto Lobo zum Beispiel, der im Programm des Festivals Wassermusik im Haus der Kulturen der Welt auftritt, lässt sich so wenig auf einen bestimmten Stil festlegen, dass man ihn ohne weiteres für einen US-Amerikaner oder Brasilianer halten könnte. Von Blues über Folk über Bossa bis hin zu Neuer Musik ist bei dem Gitarrenvirtuosen aus Lissabon so ziemlich alles möglich. Er spielt diese recht heterogenen Dinge in seiner Musik mal in Reinform, mal ineinander vermischt. Und meistens auf seiner sechssaitigen akustischen Gitarre, die er gelegentlich für ein zwölfsaitiges Exemplar eintauscht.

Entrückt und unberechenbar

Mit seinen 32 Jahren ist Lobo unter die jüngeren Musiker zu zählen. Seine Musik selbst hat hingegen etwas Altersloses, Entrücktes und zugleich Unberechenbares. Auf den ersten Blick scheint da jemand lediglich versunken einen Blues oder eine Folk-Miniatur zu spielen, doch Lobo steckt in seine oft kaum mehr als zwei Minuten benötigenden Stücke gern kleine Brüche und Irritationen, die man des diskreten Charakters seines Instruments wegen leicht überhören kann.

Zur elektrischen Gitarre greift Lobo eher selten, sein Element scheint das Stille, Zart-Zerbrechliche zu sein. Oder war es zumindest bisher. Auf seinen Soloalben wie „Pata Lenta“ von 2009 oder dem zwei Jahre später erschienenen „Fala Mansa“ herrschen die akustischen Klänge in so deutlicher Form vor, dass man meinen möchte, Lobo habe einfach etwas gegen elektrisch verstärkte Instrumente. Doch für seine jüngste Platte „Mogul de Jade“ vom Vorjahr entschied er sich nicht nur für den Gebrauch einer E-Gitarre inklusive Verzerrer – auf einigen Stücken zumindest – er ließ sich sogar von einem Schlagzeuger begleiten.

Unter Lobos Händen klingt das Ergebnis dann allerdings mehr nach Avantgarde-Jazz als nach Rock. Und zeigt den Musiker, der schon mit so unterschiedlichen Kollegen wie dem Noise-Minimalisten Rhys Chatham, dem Gitarren-Tausendsassa Gary Lucas und der Antifok-Ikone Devendra Banhart zusammenspielte, wieder von einer anderen Seite.

Das größte experimentelle Projekt, an dem Lobo beteiligt ist, dürfte dabei wohl das internationale Dream & Drone Orchestra sein, das in rund zehnköpfiger Besetzung spielt und, seinem Namen alle Ehre erweisend, verträumte Drone-Musik mit frei fließendem Jazz-Einschlag spielt. Als wäre es mit der Vielseitigkeit noch nicht genug, hat sich Lobo nebenher als Filmkomponist für Dokumentarfilme wie die portugiesische Produktion „Alto do Minho“ und vereinzelt noch als Schauspieler betätigt.

Lobos Hauptaufmerksamkeit gilt gleichwohl der Musik. Wie ein Forscher fühlt er, der keine Musikhochschule besucht hat, sich in die Musikformen ein, die ihn gerade interessieren. So stößt man bei ihm immer wieder auf Stücke, die aus dem Umfeld der Folk-Bewegung des American Primitivism um die US-Amerikaner John Fahey und Robbie Basho hervorgegangen sein könnten. Diesen Heroen des virtuosen Fingerpickings fühlt sich Lobo, so viel kann man seinen Platten entnehmen, mindestens ebenso nahe wie den Traditionen seines Landes, was es irgendwie schwierig macht, ihn als „portugiesischen“ Musiker zu klassifizieren.

Für sein Konzert bei der Wassermusik ist Lobo als Solokünstler angekündigt. Der Schwerpunkt der Reihe lautet in diesem Sommer passenderweise „Lusofonia“, vulgo portugiesischsprachiger Raum. Und dem ist Lobo seiner Herkunft wegen eindeutig zuzurechnen. Wie genau er das in seinem Auftritt beherzigen wird, bleibt abzuwarten. Es könnte halt alles ganz anders kommen. Zur Not weitet er das Gebiet Lusitaniens einfach auf die USA aus. In der Musik dürften solche Annexionen ja erlaubt sein. Grenzen jedenfalls lassen sich da ja auf völlig friedliche Weise – und meistens einvernehmlich – einreißen.

■ Norberto Lobo, 1. 8., Haus der Kulturen der Welt, 19 Uhr