BOXHAGENER PLATZ
: Verrückte Leute

Das war keine Rockfalte. Das war eine Erektion

Es leben viele Verrückte in der Stadt. Am Sonntag sah ich einen auf dem Flohmarkt auf dem Boxhagener Platz. Es gibt da eine Ecke, wo immer Musiker spielen. Als ich vorbeilief, spielte eine Band ein lustiges Lied, das „Verrückte Leute“ hieß. Eine große Traube an Flohmarktbesuchern hatte sich gebildet. „Verrückte Leute“ kam gut an. Besonders bei einem alten Mann mit einem schlohweißen Haarkranz auf dem Kopf und einem kurzen rotkarierten Rock auf den Hüften, der neben einem Baum stand. Der Oberkörper war frei, an den Füßen trug er Turnschuhe. Ab und an nahm er einen großen Schluck aus einer Wasserflasche, die mit einer roten Flüssigkeit gefüllt war, die auf Wein schließen ließ. Bei dem Refrain „Verrückte Leute“ riss er jedes Mal die Arme hoch und tänzelte elegant vor sich hin. Als sich der Saxofonspieler am Liedende auf den Boden warf und so tat, als ob er Gitarre spielte, fasste sich der alte Mann in den Schritt. Der Rock wölbte sich auffällig nach vorne. Das war keine Rockfalte. Das war eine Erektion.

Noch vor dem Höhepunkt lief ich weiter über den Flohmarkt, und als ich wieder vorbeikam, spielte ein junger Mann „Streets of London“ auf der Gitarre. Der alte Mann hatte sich ein Unterhemd angezogen und saß im Schneidersitz da. Ich bemerkte, dass mich zwei blonde Frauen intensiv beobachteten, wie ich Notizen machte, und die Köpfe zusammensteckten.

Nach einigen Minuten kamen sie auf mich zu und fragten, was ich da mache. Ich erzählte, dass ich eine „Berliner Szene“ schreibe. Die Frauen, beide aus Österreich, waren entzückt, und der Gitarrenspieler stimmte das nächste Lied an. Er sang „Because I love you too much, baby“ und der alte Mann tänzelte zu ihm hin, als fühlte er sich angesprochen. Wieder zurück an seinem Baum bückte er sich nach seiner Flasche. Da sah ich seine Glocken. Der Mann trug keine Unterhose. Halleluja. BARBARA BOLLWAHN