Waberndes Raunen und Dschungelregen

INSTALLATION Der Tonraum an der TU wird 30 Jahre alt. Eine Ausstellung informiert über die Entstehung des Klangkunstwerks, das der österreichische Architekt Bernhard Leitner einst als Kunst-am-Bau-Projekt schuf

Seit 30 Jahren spielt die Installation zweimal täglich etwas ab

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

So ein altes Gemäuer wie das Hauptgebäude der TU an der Straße des 17. Juni ist schon ein herrlicher Klangkörper.

Hat man erst einmal das Betonfoyer im Stil der 70er-Jahre-Moderne hinter sich gelassen und ist in den Gründerzeitkasten gelangt, in dem die Hörsäle und Seminarräume sind, findet man sich in einer ganz eigenen Klanglandschaft wieder. Die Decken sind hoch, die Gänge sind lang, und jedes noch so leise Geräusch wird in dieser „Soundscape“ durch den Raumhall verstärkt wiedergegeben. Im abendlich leeren Gebäude klackern die Schuhsohlen auf den Treppenstufen. Zuschlagende Türen senden Donnerkaskaden durch die leeren Gänge. Die Stimme eines Professors, der in einem Hörsaal ein Diagrammgewirr an der Tafel erklärt, verfolgt einen murmelnd bis zur nächsten Ecke. Aus dem hohen Lichtsaal dringt das Gespräch einer Gruppe von Studenten als waberndes Raunen in den ersten Stock.

Da fällt es einem besonders auf, wenn in einem kleinen Raum im Treppenhaus die Raumklanggesetze des übrigen Baus auf einmal außer Kraft gesetzt sind. Stattdessen scheint man in einen Dschungelregen geraten zu sein. Unvermittelt rauscht es um einen herum, als käme ein unsichtbares schweres Gewitter herunter.

Man ist in den Tonraum der TU geraten, eine Klanginstallation des österreichischen Architekten und Klangkünstlers Bernhard Leitner, die 1984 im Rahmen eines Kunst-am-Bau-Projekts an der Hochschule installiert wurde. Das passte an die TU, die seit 1953 ein eigenes Studio für elektronische Musik betreibt, in dem bis heute experimentelle Musik und Klangkunst entstehen.

Seit 30 Jahren spielt die Installation – so ähnlich wie die Glockenspiele, die man an historischen Rathäusern oder Kirchen findet – zweimal täglich etwas ab, das Leitner „Modul“ oder „Programm“ nennt: etwa zehnminütige Klangkompositionen, die den Raum akustisch modulieren. Hinter schallschluckendem Material sind an den Wänden 42 Lautsprecher versteckt. Wie bei einem mit einer Dolby-Anlage ausgestatteten Kino können so die Klänge durch den würfelförmigen Durchgangsraum wandern und springen.

Zum 30-jährigen Jubiläum und im Rahmen des Festivals „mikromusik“ mit experimenteller Musik und Sound Art ist in einem Hörsaal im ersten Stock des Lichthofs der TU eine kleine Ausstellung zur Entstehung des Tonraums zu sehen. Die Galerie Kunsthandel Wolfgang Werner zeigt begleitend andere Arbeiten Leitners: den „Ton-Anzug“ von 1975 etwa, einen mit Lautsprechern versehenen Overall oder einen Regenschirm mit eingebauten Hochtönern. Für den TU-Tonraum hat Leitner aus den verschiedenen Modulen, die er vor 30 Jahren für die Installation entwickelt hat, eine Collage geschaffen, die derzeit jeden Tag von 10 bis 18 Uhr durchläuft.

Da hört man dann zum Beispiel eine verhallte Klarinette, die ein wenig wie ein australisches Didgeridoo klingt. Deren Töne, die nach aleatorischen Prinzipien auf die verschiedenen Lautsprechern geschickt werden, scheinen einen Tanz um den Zuhörer aufzuführen. Bei anderen der Module sieht man die Klänge förmlich als abstrakte Figur durch den Raum flitzen. Mit dem Synthesizer-Vorgänger Trautonium, das von dem Berliner Ingenieur Friedrich Trautwein und dem Komponisten Oscar Sala in den 30er Jahren entwickelt wurde, schafft Leitner Klänge, die er als „statisches Feld“ bezeichnet, „ein Crescendo einer kubischen Raumform“. Dass sein Werk von den Geräuschen passierender Studenten unterbrochen wird, stört Leitner nicht: „Damit habe ich keine Probleme. Das hier ist ein Passagenraum, und durch die Menschen, die vorbei kommen, entstehen verschiedene Stimmungen.“

Bernhard Leitner baute 1969 seinen ersten „Soundcube“, eine Version dieser Arbeit wurde 1982 bei der documenta ausgestellt. Anfang der 70er Jahre arbeitete er als „Urban Designer“ in der New Yorker Stadtverwaltung, unterrichte von 1972 bis 1981 an der New York University und von 1987 bis 2005 an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Andere Klangräume entstanden unter anderem für den Parc de la Villette in Paris und in Prag. In West-Berlin, so heißt es in der Pressemitteilung der TU sehr schön, gehörte sein Raum einst „zu den Pilot-Projekten, die seit den 80er Jahren das Entstehen neuer künstlerischer Formen ins öffentliche Bewusstsein brachten“. Da fragt man sich doch, warum es heute eigentlich so wenig Kunst am Bau gibt.

■ „Bernhard Leitner – 30 Jahre Ton-Raum“. Noch bis zum 25. September im Hauptgebäude der TU, Straße des 17. Juni 135. „TonRaumSkulptur Objekte Notation Graphik“ bis zum 1. November bei Kunsthandel Wolfgang Werner, Fasanenstraße 72, Charlottenburg