Die Flüchtlingsbewegung

#oplatz #ohlauer #guertelstrasse #thomaskirche – der Protest der Refugees geht weiter. Am 19. September wird zur Kundgebung vor dem Bundesrat aufgerufen

■ Freitag, 19. September Der Bundesrat stimmt über eins der Gesetze ab, die das Asylrecht in Deutschland weiter einschränken werden. Der Flüchtlingsrat Berlin ruft zur Protestkundgebung auf: „Gegen die Verschärfung des Asylrechts! Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien sind keine sicheren Herkunftsstaaten!“

■ 8.45 Uhr vor dem Bundesrat, Leipziger Straße 3–4

Heute werden Protestversammlungen und kritische Diskussionen schnell zu „Bewegungen“ erklärt. Das ist bei der jetzigen Flüchtlingsbewegung ganz anders. Hier handelt es sich um ganz konkrete Männer und Frauen, die plötzlich auf den Plätzen unserer Großstädte auftauchten – und gemeinsam ein Aufenthaltsrecht für sich forderten.

Als die in Deutschland angekommenen sich im Oktober 2012 nach einem „Marsch der Würde“ aus Asylheimen raus auf öffentlichen Plätzen in München, Hamburg, Berlin und anderswo versammelten – und dort „Refugee-Camps“ einrichteten, um ihre Forderungen „Deportationen stoppen, Residenzpflicht und Lager abschaffen!“ durchzusetzen, notfalls mit einem Hungerstreik –, schufen sie damit eine neue soziale Bewegung, die noch lange nicht am Ende ist.

Nur wenige Intellektuelle haben sie vorausgesehen: „Die Fackel der Befreiung ist von den sesshaften Kulturen an unbehauste, dezentrierte, exilische Energien weitergereicht worden, deren Inkarnation der Migrant ist.“

So sagte es der Exilpalästinenser Edward Said. Für den englischen Publizisten Neal Ascherson sind die „Flüchtlinge, Gastarbeiter, Asylsucher und Obdachlosen“ gar „zu Subjekten der Geschichte“ geworden. Der polnische Künstler Krzysztof Wodiczko zog daraus den Schluss: „Der Künstler muss als nomadischer Sophist in einer migranten Polis aufzutreten lernen – auf ihren neuen Agoren, Plätzen, Märkten, Parks und Bahnhofshallen der großen Städte.“

Man bekam den Eindruck, dass die Flüchtlingsbewegung ab 2012 auf große Resonanz mindestens unter den jungen Deutschen stieß: Es gab etliche Demonstrationen für sie, und immer mehr Transparente an Häusern mit dem Spruch „Refugees – Welcome!“, aber konkret halfen nur ganz wenige, indem sie sie zur Ausländerbehörde oder zu Ärzten begleiteten, die ihnen ihre Abschiebungsunfähigkeit bescheinigten oder indem sie ihnen eine Möglichkeit zum Geldverdienen und eine private Unterkunft beschafften.

So wie zum Beispiel ein Justiziar in Worpswede, der das dort von der CDU in einer alten Dorfschule fürchterlich untergebrachte Flüchtlingskontingent aus Ghana kurzerhand in seiner Villa einquartierte. Für die meisten Sympathisanten waren diese „Refugees“ (eigentlich muss man genauer von „Afrikanern“ reden) bloß ein willkommener Anlass, um wieder einmal ihre Kritik am Staat, „dem kältesten aller kalten Ungeheuer“ laut Nietzsche, von Polizisten flankiert, auf die Straße zu tragen – und „Haut ab!“ zu skandieren.

Ähnlich abstrakt war und ist auch das Mitgefühl der halblinken Politiker in den kommunalen Regierungen, die den Afrikanern zwar leerstehende Massenquartiere anboten, aber diese stets nur vorübergehend, zudem wurden dann immer wieder kleine Gruppen von der Polizei aus den Häusern geholt, um dann doch abgeschoben zu werden.

„Aus einer Bewegung mit politischen Forderungen machte man so Einzelpersonen, die nur noch auf ihre Anhörung und fast garantierte Ablehnung der Ausländerbehörde zu warten hatten“, schrieb die taz am 13. 9. Die Flüchtlinge reagierten darauf, indem sie sich auf dem Dach verbarrikadierten und „halb verhungert und verdurstet“ damit drohten, runterzuspringen.

Als libyscher Gastarbeiter kam der sudanesische Flüchtling Achmed über Griechenland und Italien nach Hannover. Von dort schloß er sich den Campern auf dem Oranienplatz an. Nachdem die Polizei den Platz geräumt hatte, schlief er vier Tage ohne etwas zu essen in einem Park. Als er in einem Geschäft um ein belegtes Brötchen bat, holte die Besitzerin die Polizei.

Die Ausländerbehörde verfügte schließlich seine Abschiebung. Dazu musste er sich jedoch zurück in „sein“ Hannoveraner Flüchtlingsheim begeben, wo man ihm eine Zugfahrkarte nach Italien aushändigte. Aber was soll er dort?

Ein anderer Sudanese hat noch eine schrecklichere Odyssee hinter sich: Seine Frau, die Filmerin Pola Reuth, veröffentlichte sie unter dem Titel „Libysche Träume“. Die Afrikaner, die es bis hierher geschafft haben, sind keine Hausbesetzer, die sich günstig immobilisieren wollen, ihnen geht es um ein „Bleiberecht“, um Arbeit und Bildung, das heißt um Teilnahme am Sozialen – „Inklusion“ neuerdings genannt.

Staatspolitisch geschieht jedoch das Gegenteil: Immer mehr EU-Länder lassen sich ihre Pässe teuer bezahlen – von reichen Wirtschaftsflüchtlingen, während sie gleichzeitig das Asylrecht für notleidende Ausländer verschärfen. HELMUT HÖGE