Europaweiter Protest-Tag

Seit Juli 2013 laufen die Verhandlungen zwischen der EU und den USA zum geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) – genauso lange gibt es Proteste dagegen

■ Das Antiglobalisierungsnetzwerk Attac ruft gemeinsam mit dem Bündnis „TTIP Unfairhandelbar“ zum europaweiten Aktionstag auf, um die Verhandlungen zu TTIP zu stoppen. Daran beteiligen sich auch Sozialbündnisse und Gewerkschaften wie die IG Metall und Ver.di. Attac stellt eine Karte mit Aktionen in Europa zusammen – eigene Aktion anmelden unter: www.attac.de

Derzeit ist es für Unternehmen angeblich schwierig, aus den USA nach Europa oder umgekehrt von Europa in die USA zu exportieren. Denn in beiden Wirtschaftsräumen gibt es höchst unterschiedliche Vorschriften und Regeln in den verschiedensten Bereichen. Diese sollen nun aneinander angeglichen werden, damit der Handel unkomplizierter und kostengünstiger ablaufen kann.

Folgt man den Ausführungen der Befürworter von TTIP, sind dadurch ausschließlich positive Effekte zu erwarten: Vereinheitlichung technischer Standards, Wegfall von Zöllen, ein deutlicher Zuwachs an Arbeitsplätzen und sogar etwa 545 Euro mehr im Jahr für jeden durchschnittlichen Haushalt in der EU.

Unabhängige Wirtschaftsexperten relativieren das Ausmaß dieser Versprechen: Prof. Gabriel Felbermayr vom ifo-Institut München, Autor mehrerer Studien zum Thema, geht davon aus, dass der Zuwachs der auf TTIP zurückzuführenden Arbeitsplätze in Deutschland bei gerade einmal 0,4 Prozent liegen könnte – in einem Zeitraum von 15 Jahren.

Doch selbst für diese geringen Effekte steht einiges auf dem Spiel. Denn bei der Angleichung der beiden Märkte geht es nicht nur um technische Bagatellen wie die Farbe von Autoblinkern. Das europäische und das US-amerikanische Wirtschaftssystem unterscheiden sich vor allem in ökologischen und sozialpolitischen Fragen.

Am deutlichsten wird das am Beispiel des Zulassungsprozesses für neue Stoffe in der Chemie und der Medizin. In Europa gilt das Vorsorgeprinzip. Das besagt, dass Hersteller vor der Markteinführung nachweisen müssen, dass ihre Produkte bzw. die darin enthaltenen Stoffe keine schädliche Wirkung für Umwelt bzw. Verbraucher haben. In den USA sind Produkte dagegen so lange zugelassen, bis eine schädigende Wirkung nachgewiesen wurde. Im Ergebnis dürfen derzeit viele US-amerikanische Produkte nicht eingeführt werden.

Die Wirtschaft in Europa unterliegt also einer (vergleichsweise) wohlfahrtsorientierten, am Verbraucher ausgerichteten Gesetzgebung.

Im Zuge der Angleichung der beiden Wirtschaftssysteme stehen die sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse im Vordergrund, die auch als sozial- und umweltpolitische Vorschriften bezeichnet werden dürfen.

Soll TTIP nun durchgesetzt werden, müssen beide Seiten Zugeständnisse machen. Welche Kompromisse aber nun tatsächlich geschlossen werden, ist völlig unklar, denn die Verhandlungen sind streng geheim. Gegen dieses intransparente Vorgehen richtet sich zunehmend deutlicher Protest.

Die Schaffung von Arbeitsplätzen und das prognostizierte Wirtschaftswachstum werden zwar stets als beschwichtigendes Argument angeführt. Doch beim genauen Lesen der von TTIP-Befürwortern zugrunde gelegten Studien wird schnell klar, dass die versprochenen Positiv-Effekte nur unter sehr unwahrscheinlichen Idealbedingungen eintreten können.

Was ein höherer wirtschaftlicher Wohlstand unter dem Gesichtspunkt geringerer Umwelt- und Sozialstandards wert ist, scheint eine untergeordnete Rolle zu spielen. Welches Maß an Liberalisierung zieht die geplante Freihandelszone nach sich, welche demokratischen Kontrollmöglichkeiten werden die Parlamente in Zukunft haben, welche Standards werden zukünftig gelten? Antworten darauf soll es erst nach Abschluss der Verhandlungen im Jahr 2015 geben, wenn die Ergebnisse irreversibel feststehen.

Doch noch ist es nicht zu spät. Solange die Verhandlungen nicht beendet sind, besteht auch die Möglichkeit, das undurchsichtige Prozedere zu stoppen und die Offenlegung bzw. ein breites öffentliches Mitwirkungsrecht einzufordern – wie es in einer Demokratie selbstverständlich sein sollte.

MAXIMILIAN POHL