BRACHLIEGEND
: Gegen Ende

Irgendjemand hat mal gesagt, Berlin sei eine dunkle Stadt

Blaue Stunde. Immer noch mitteleuropäische Sommerzeit. Ein gewichtiger Mops trabt um einen gewaltigen Granitstein herum, immer und immer wieder im Kreis. Herrchen dankt ihm den Anblick mit Leckerlis.

Gegenüber am Platz bewacht die Büros der Jüdischen Akademie ein wehendes rot-weißes Plastikband. Sieht unheimlich entspannt aus. Hinter dem Band und hinter einem bodentiefen Fenster sitzt eine froschgrün verschleierte Muslimin und amüsiert sich am Telefon. Nichts dringt nach außen. In der Ferne leuchtet ein Schriftzug: „BILANZ – so gut geschrieben wie ihre schwarzen Zahlen.“

Fahrradreifen rollen über den holprigen Asphalt, schon wieder ein Hund. Es ist ein draller Beagle in einem Geschirr. Wie ein verletzter römischer Gladiator humpelt er mit seinem Kampfwagen vom Platz. Jetzt Stöckelschuhe, eine tiefe Frauenstimme, sie fragt nach dem Weg, dann wird ein Roller angeschlossen. Die Straßenbeleuchtung springt an, spät.

Irgendjemand hat mal gesagt, Berlin sei eine dunkle Stadt. Stimmt. Es gibt Eschen hier am Platz. Eine von ihnen maskiert mit ihrem welken Laub eine marode Hauswand mit Dutzenden großer und kleiner Löcher im Mauerwerk. Das Haus soll abgerissen werden.

Gerade huscht flugs ein mit Tüten beladener Mensch im Schein der Laterne hinein. Im Gebäude schräg gegenüber steht über dem Eingangstor ein mit roter Farbe hingepinselter Schriftzug: „GEGEN ENDE“. Das Haus soll einem Luxushotel weichen. Ein Mann sitzt davor, in einer Schafwollweste auf einem hellblauen Plastikstuhl, und raucht in langen Zügen.

Auf dem Platz klappt ein herrenloser Wäscheständer in sich zusammen. „Il n’y a pas des solutions faciles“, sagt einer zu seinem Telefon, es gibt keine einfachen Lösungen. Und bald keine Brachen mehr.

HARRIET WOLFF