KISSEN UND HASSMASKE
: Endzeitstimmung

Durch den Raum wabert Musik von Ennio Morricone

Wir liegen auf dem Bett und starren an die Decke. So richtig romantisch. Wie man eben an die Decke starrt und nichts sagt und sich trotzdem gut dabei fühlt. Alles friedlich. Da schallt es von draußen durch die geschlossenen Fensterscheiben. Erst weit entfernt und dumpf, dann immer klarer.

Es sind die üblichen Parolen, die man schon erkennt, wenn man sie noch gar nicht hört. Jetzt flackern auch die ersten Blaulichter durch das Fenster und die Gardine. „Willst du raus“, fragt sie. „Nein, nein. Bestimmt nur das Übliche.“ Schweigen. Jetzt aber etwas unangenehmer. „Geh ruhig.“

Also spring ich auf und hechte ans Fenster. Auf der Straße circa 300 Menschen und doppelt so viele Polizisten, ein paar Bengalos und Transparente. Nicht klar zu erkennen, worum es geht. Gentrifizierung, schätze ich. „Gentrifizierung? Gibt’s etwa nichts Neues? Das ist doch alt.“ Nuschelt es hinter mir.

Wie gute Momente in Sekunden zerstört werden können, konnte man hier deutlich spüren. Als ob so eine alte Replika-Vase zu Boden fällt und alle tun so, als wäre es ganz schlimm. Scheißvase. „Deine Mutter ist auch alt, und trotzdem hatten wir schon jede Menge Spaß mit ihr“, möchte ich am liebsten antworten. „Und bei dem Spaß mit ihr geht es ganz bestimmt nicht um gemeinsame Besuche im Spreepark“.

Durch den Raum wabert Musik von Ennio Morricone, zumindest kann ich sie deutlich hören. Endzeitstimmung. Links das Bett mit den gemütlichen Kissen und der weichen Haut, rechts die Bauchtasche mit der Hassmaske, dem Tränengas und den Quarzsandhandschuhen. Was tun? Der Schädel brummt. Na gut. Dieses eine Mal noch sag ich einfach gar nichts zu ihrem dümmlichen Kommentar und leg mich zurück ins Bett. Aber wirklich nur dieses eine Mal. Ab morgen ist Revolution, versprochen.

JURI STERNBURG