Schöne Weide

BIENEN Es gibt offiziell rund 860 Stadtimker in Berlin. Deren Stadthonig ist unbelastet. Schadstoffe aus Abgasen wie Blei, Cadmium oder Kohlenwasserstoffe landen nicht darin. Das ergab jetzt eine aktuelle berlinweite Untersuchung

■ 31, ist Journalistin und selbst Stadtimkerin. Ihre 15 Bienenvölker betreut sie gemeinsam mit ihrem Freund. Sie stehen in Charlottenburg und in Wedding – jeweils in der Nähe von großen Parks und Friedhöfen, die Bienen finden hier reichlich Nahrung. Die Ernte 2014 ergab einen Frühlingshonig mit über 70 Prozent Vergissmeinnichtpollen – typisch für Berlin, denn Vergissmeinnicht blühen in fast jedem Garten und auf unzähligen Balkonen. Genauso typisch ist der Berliner Lindenblütenhonig, den die Bienen reichlich sammelten. Unter jana-tashina-woerrle.de/honig gibt es mehr zu ihren Bienen und dem Honig.

TEXT JANA TASHINA WÖRRLE
FOTOS AMÉLIE LOSIER

Thomas Ultsch beugt sich über dicke Mauerzinnen und zeigt nach unten auf die Kantstraße. Dort stauen sich Autos, ein Fahrer hupt. Ein Stück weiter hinten braust ein ICE quietschend vorbei. Wir stehen auf dem Dach des Theater des Westens. Etwa 100 Meter Luftlinie entfernt liegt der Bahnhof Zoo. Dazwischen Straßen und viele Ampeln, an denen Autos Abgase in die Luft pusten. Auf dem Dach stehen vier bunt bemalte Bienenstöcke.

Es ist Dezember, nass, bewölkt – aber mild. Einzelne Bienen wagen einen Flug. Vielleicht in Richtung Zoo oder in den Tiergarten. Würden Bäume und Blumen gerade blühen, würden die Bienen in einem Radius von etwa drei bis fünf Kilometern nach Nektar und Pollen suchen. Jetzt fliegen sie, wenn überhaupt, kleine Runden durch den Großstadtkiez.

Mit der Idee Bienenstöcke auf Dächer zu stellen, ist Thomas nicht allein. Die Zahl der Stadtimker wächst– sie imkern in Gärten und Parks, auf Friedhöfen, Balkonen und auf Dächern. Über 860 Stadtimker meldet der Imkerverband Berlin.

Die Zahl dürfte allerdings höher liegen, da nicht alle in den Imkervereinen der Bezirke registriert sind. Das liegt auch daran, dass Bienen sich in der Großstadt wohlfühlen und dass sie hier ein reichliches Nahrungsangebot finden – oft reichlicher als zwischen den kilometerlangen Maislandschaften und pestizidbelasteten Rapsfeldern außerhalb der Stadt.

Und nun ist zudem offiziell bestätigt, dass der Berliner Stadthonig praktisch unbelastet ist. Dass der Stadtverkehr mit seinen Abgasen und Feinstaubpartikeln nur geringste Spuren im Honig hinterlässt. Das ergab eine berlinweite Untersuchung an fünf zentralen Standorten in der Innenstadt.

Beweis für Qualität

Einer davon ist bei Thomas und seinen Bienen auf dem Dach zwischen Bahnhof Zoo, Ku’Damm und Gedächtniskirche. Zweimal hat Thomas im gerade zu Ende gegangenen Jahr Honig geerntet, im Juni und im Juli. Ein Glas des Juli-Honigs ging an Erwin Biller vom Lehrbienenstand in Marienfelde – Imker und Nabu-Mitarbeiter haben diesen mit Fördergeldern der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz im Sommer aufgebaut.

Die Fördergelder reichten auch für die Schadstoffanalyse. „Wir Stadtimker reden immer davon, dass unser Honig unbelastet ist, aber einen aktuellen Beweis hatte bislang niemand“, so der 69-Jährige.

Schon in den 80er Jahren hat er eine ähnliche Untersuchung begleitet. Damals fuhren die Autos noch mit bleihaltigem Benzin. Das zeigte sich auch im Honig. Im Schnitt lag die Bleibelastung rund 20-mal – örtlich sogar bis zu 200-mal – höher als heute. Davon ist in den aktuellen Ergebnissen nichts mehr zu finden. Sie liegen alle unter der sogenannten Bestimmungsgrenze und unter dem Grenzwert für Trinkwasser. Bei Blei liegt dieser bei 0,01 Milligramm pro Liter. Einen eigenen Grenzwert für Honig gibt es nicht. „Wenn man den Trinkwasserwert nimmt, ist man auf der ganz sicheren Seite, denn Wasser nimmt man in viel größeren Mengen zu sich als Honig“, sagt Biller und lacht. Denn auch ein passionierter Imker würde es nicht schaffen, über 80 Kilo Honig in der Woche zu essen. So viel wäre laut einer Hamburger Stadthonig-Untersuchung nötig, um die von der WHO festgelegte tolerierbare Menge an Blei zu sich zu nehmen. Die Forscher gingen hierbei von einer Menge von 0,02 mg Blei pro Kilogramm Honig aus. In Berlin lagen die Werte noch weit darunter. Bei Blei genauso wie bei Cadmium und bei der Belastung mit Polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAKs).

Winterschlaf macht keine Honigbiene. Sie sitzen in einer Kugel zusammen und wärmen sich gegenseitig

Der Berliner Honig wurde genau genommen auf 16 verschiedene Substanzen dieser chemischen Gruppe untersucht. Es sind Schadstoffe aus Abgasen, die bei einer Verbrennung im Motor, aber auch in Heizungen und Kraftwerken entstehen und zum Teil krebserregend wirken können. Auch bei den PAKs (0,0001 mg/l) und bei Cadmium (0,005 mg/l) wurden die Grenzwerte für Trinkwasser nicht überschritten, sie lagen unter der Bestimmungsgrenze. „Außer Wasser dürfte es kaum ein anderes Lebensmittel mit einer geringeren Belastung geben“, schlussfolgert Biller.

Gute Ergebnisse hatten auch Untersuchungen in Frankfurt, München und Dortmund ergeben. Allerdings waren diese meist als sogenanntes Biomonitoring an Flughäfen initiiert gewesen. Die Flughafenbetreiber wollten damit zeigen, dass die Luftbelastung im Umkreis der Flughäfen zu vernachlässigen ist. Doch um diesen Zusammenhang eindeutig herzustellen, wären weitere Untersuchungen nötig, sagt Birgit Lichtenberg-Kraag vom Länderinstitut für Bienenkunde im brandenburgischen Hohen Neuendorf.

Dass Schadstoffe aus der Stadtluft nicht im Honig landen, liege jedoch nicht zwingend an der guten Stadtluft, sondern an der Natur von Biene und Pflanze. „Die Nektarien, also die Saftdrüsen der Pflanzen, sind in der Regel in der Blüte verborgen und damit nicht direkt der Luft ausgesetzt. Die Blütezeit ist zudem relativ kurz“, erklärt Birgit Lichtenberg-Kraag. Liegt die Umweltbelastung sehr hoch, würde man das zwar auch im Honig sehen – wie beim Blei in den 80er Jahren. Bei einer moderaten Belastung allerdings nicht. PAKs reichern sich zudem eher in fetthaltigen Substanzen an – und Honig enthält kein Fett.

Blütenpollen dagegen schon, und so hätten Untersuchungen gezeigt, dass hier die Werte im Pollen etwas höher liegen können als im Honig. Sie bleiben allerdings auch beim Blütenpollen im unbedenklichen Bereich.

Ob die Biene selbst als Filter für die Stoffe dient, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt. „Möglicherweise gibt die Biene tatsächlich nicht alle aufgenommenen Schadstoffe wieder ab, und da die Bienen den Nektar im Stock mehrmals weitergeben, könnte es zu einer weiteren Reduktion kommen“, formuliert es Birgit Lichtenberg-Kraag.

Das zeige sich deutlicher auf dem Land, wenn Bienen Nektar an Blüten sammeln, die mit Pflanzenschutzmitteln behandelt sind. Durch aufgenommene Gifte verlieren manche Bienen die Orientierung und erreichen den eigenen Bienenstock nicht mehr. Denn bevor dann das Gift im Honig landen könnte, stirbt die Biene.

Die Stadtimker können nun mit gutem Gewissen mit der Schadstofffreiheit ihres Honigs werben. Annette Mueller kennt die erstaunten Gesichter, wenn sie vom Berliner Stadthonig erzählt. „Ob da keine Abgase drin sind und ob das denn gesund sein kann, fragen viele“, sagt die Gründerin der Berliner Bärengold GmbH, die Stadthonig von Berliner Imkern unter einer Dachmarke „Berliner Honig“ in Supermärkten verkauft.

Natürlich freut sich auch Annette Mueller über derart gute Ergebnisse: „Endlich mal eine Untersuchung explizit zum Berliner Honig.“ Sie will auch nicht unerwähnt lassen, dass in den Städten eigentlich paradiesische Zustände für die Bienen herrschen, das heißt abwechslungsreiche Nahrung und keine Pestizide. Die Herausforderungen für die Imker liegen in der Regel auf dem Land, wo Agrarsubventionen den Anbau von bienenunfreundlichen Monokulturen weiter vorantreiben.

■ Seit zwei Jahren hat auch die taz eigene Bienen auf dem Dach in der Rudi-Dutschke-Straße. taz-Mitarbeiterin Susanne Knechten aus dem Marketing und Ronja Krischke aus dem taz-Café betreuen die Bienen. „Die Idee kam von Annette und Jemi von ‚Berliner Honig‘. Sie haben uns angesprochen, ob wir nicht auch auf dem taz-Dach imkern wollen“, erzählt Susanne Knechten. Begeisterung war sofort da – und schon standen die ersten beiden Ablegervölker auf dem Dach. Mittlerweile sind die zu richtigen Wirtschaftsvölkern herangewachsen; ein Ableger kam noch dazu.

■ 2014 gab es die erste richtige Honigernte. Geschleudert wurde öffentlich, sodass sich interessierte Berliner anschauen konnten, wie der Stadthonig aus den Waben fließt. Über 20 Kilogramm waren die Ausbeute. Stadthonig kann man auch im taz-Shop kaufen, allerdings stammt er nicht vom taz-Dach, sondern von Imkern, die bei „Berliner Bärengold“ mitmachen. Wer Fragen zu den taz-Bienen hat, kann sich per Mail melden: honig@taz.de

Kaltes Wetter wäre besser

Ultsch überlegt nun, wie er die guten Werte der aktuellen Schadstoffmessung aus der Stadt seinen Kunden näherbringen soll. „Das muss raus an die Öffentlichkeit“, sagt der 37-Jährige, der als Hörfunkjournalist arbeitet.

Wir gehen vom Dach, es dämmert. Jetzt fliegt keine Biene mehr. Eigentlich wäre es besser, wenn es über eine längere Zeit kälter wäre. Denn durch die Ausflüge am Nachmittag, bei denen sie im Winter keine Nahrung mehr finden, verbrauchen die Bienen zusätzliche Kraft und Vorräte, die sie eigentlich für die Überwinterung brauchen.

Winterschlaf macht keine Honigbiene. Sie sitzen in einer engen Kugel zusammen und wärmen sich gegenseitig durch ständige kleine Muskelzuckungen. Im Inneren sitzt die Königin und wird gefüttert. Um sie herum ist es immer über 30 Grad Celsius warm – egal wie kalt und windig es draußen ist.