Die Reise zum Mond

SELBSTFINDUNGSDRAMA Atif Mohammed Nor Hussein inszeniert Olivia Wenzels „Mais in Deutschland und anderen Galaxien“ im Ballhaus Naunynstraße

Erwachsene in kurzen Hosen, das sieht immer ein wenig lächerlich aus. Die kurzen Hosen, die werden die zwei Männer (Toks Körner, Asad Schwarz-Msesilamba) und die junge Frau (Dela Dabulamanzi), die im Ballhaus Naunynstraße die Geschichte von Noah erzählen, nicht los. Das passt, wird doch der Junge, der in der DDR vaterlos aufwächst, sein Leben lang mit seiner Kindheit nicht fertig, bis über sein sechzigstes Jahr hinaus. Das Unfertige, nicht ganz Passende, das allen Kostümen von Petra Korink eigen ist, wird zu Noahs Eigenschaft – nie kommt er ganz bei sich an.

„Mais in Deutschland und anderen Galaxien“ wurde von der knapp 30-jährigen Dramatikerin Olivia Wenzel in der postmigrantischen Literaturwerkstatt „Raus – neue deutsche Stücke“ entwickelt, die das Gorki-Theater zusammen mit dem Ballhaus Naunynstraße vor einem Jahr veranstaltet hat. Tatsächlich ist die Geschichte in einem Punkt programmatisch für das Ballhaus, nimmt sie doch die Spur von in Deutschland geborenen Kindern von Gastarbeitern auf, in diesem Fall von einem Angolaner in der DDR. Sich in der eigenen Familiengeschichte umzuschauen, um sich des Selbst zu vergewissern, ist ein wiederkehrendes Motiv in den Ballhaus-Stücken. Einige von Noahs Erinnerungssplittern erzählen von Momenten des Ausgegrenztwerdens. Doch viel stärker ist sein bleibendes Fremdheitsgefühl geprägt vom Kampf mit seiner Mutter Susanne, die es nie geschafft hat, ihren Sohn zu lieben.

Susannes Leiden an der Enge der DDR ist der zweite Erzählstrang in dem Kaleidoskop monologischer Rückblenden, Dialogszenen und symbolischer Traumsequenzen. Susanne ist ein unglückliches Ostpunk-Mädchen, dem jeder Ausbruchsversuch misslingt. Vergebens hoffte sie, Noahs Vater nach Angola folgen zu können – und muss nun bleiben, voller Ungeduld. Noah hat von Anfang an schlechte Karten.

Atif Mohammed Nor Hussein ist der Regisseur des Abends, der mit allen seinen Figuren liebevoll verfährt, auch dort, wo der Text sie eigentlich nur in groben und etwas klischeehaften Strichen zeichnet. Susannes Vater und Mutter beispielsweise, die nicht viele Gesten und nicht viele Worte zur Verfügung haben und den Lebenshunger ihrer Tochter nie verstehen können, spielt Theo Plakadoukakis als eine Person in Kittelschürze und mit nackten Beinen. Er spricht den Text des Vaters, dem zu Angola immer nur der eine blöde Witz einfällt – „An Gola hätte ich jetzt gern –, der ab und zu bei seiner Frau Bestätigung sucht, in der immer gleichen Bühnenecke, auf dem immer gleichen Stuhl sitzend, und man würde sich nicht wundern, wenn er langsam mit der Osttapete hinter sich verschmölze.

Dagegen steht ein anderes Bild, von einer Reise zum Mond, die Noah mit seiner Mutter unternehmen will, als er längst die dreißig überschritten hat und selbst ein notorisch unzuverlässiger Vater geworden ist. Es ist ein Bild, das einerseits dem Ausbruchswillen der Mutter antwortet und andererseits an die Stelle der Freiheit etwas wie Verbannung setzt. Aus dieser widersprüchlichen Gemengelage aber kommt Noah in seinen Gefühlen eben nie raus.

In den meisten Szenen gelingt es den Schauspielern, mit wenig Aufwand sehr nah an ihren Figuren heranzuführen, und das ist die Stärke der Inszenierung. Dort allerdings, wo es surrealer wird und Figuren und Dialoge eher symbolisch angelegt sind, verliert auch das Spiel seinen sicheren Grund, Sätze rauschen vorüber. Der Versuch, den Horizont des Stücks etwas weiter zu öffnen, über die Mutter-Sohn-Beziehung hinaus, bleibt so eine etwas nebulöse Spielerei.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ Wieder im Ballhaus Naunynstraße, 23.–25. 2., 20 Uhr