Volles Afrika-Programm in Berlin

FESTIVAL Europa ist nicht mehr der Nabel der Welt. Mit diesem Gedanken zeigen ChoreografInnen aus sechs afrikanischen Ländern bei „Return to Sender“ künstlerische Positionen zu 130 Jahren Kolonialgeschichte

Die Verwüstung des afrikanischen Kontinents nahm politisch und ökonomisch von Berlin aus ihren Anfang. Auf der Berliner Konferenz von 1884 trafen sich die führenden europäischen Mächte, um ein Übereinkommen zur Kolonisierung zu treffen. Das Festival „Return to Sender“ lädt ChoreografInnen aus sechs afrikanischen Ländern ein, ihren Blick auf die von Fremdherrschaft bestimmte Geschichte ihrer Heimatländer vorzustellen. Sie präsentieren eigene Arbeiten und als KuratorInnen des Festivals jeweils einen Künstler aus ihrer Heimat. Das Programm umfasst weitere Lecture-Performances, Installationen und Diskussionen sowie Partys mit diversen DJs.

■ „Return to Sender“: 6.–15. 3., HAU1, HAU2, HAU3, 14/8 Euro, Festivalpass für drei Vorstellungen 30 Euro, www.hebbel-am-ufer.de

VON HELMUT HÖGE

Wir haben den „Neger“ postkolonial durch den „Afrikaner“ ersetzt, nicht jedoch die koloniale Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kultur-Macht über ihn. Ähnliches gilt auch für den Afrikaner selbst, weswegen der in Kamerun geborene Politologe und Vordenker der Dekolonisierung Achille Mbembe eine „Kritik der Neger-Vernunft“ schrieb (die sein deutscher Verlag jedoch politisch korrekt mit „Kritik der schwarzen Vernunft“ übersetzte). „Entzweiung, Enteignung und Entwürdigung: Diese Übel plagen Afrika und die ganze Welt, seit der Sklavenhandel begann,“ so Mbembe. Aber etwas hat sich doch geändert: In Berlin, wo 1884/85 auf der „Afrika-Konferenz“ die Kolonien aufgeteilt wurden, forderten 200 Demonstranten im Februar 2014 die Umbenennung des U-Bahnhofs „Mohrenstraße“.

„Europa bildet nicht mehr das Gravitationszentrum der Welt“ – mit diesem Gedanken aus Mbembes „Kritik der schwarzen Vernunft“ stellt das HAU-Theater sein afrikanisches Kulturprogramm „Return to Sender“ vor, das vom 6. bis 15. 3. in stattfindet. Zuvor fand bereits in der Volksbühne eine „Afrika-Konferenz“ statt: „130 Jahre Berlinisierung eines Kontinents und Einübung in Verbrechen“ – die auf der Konferenz bis zur üblen Behandlung der „Lampedusa-Flüchtlinge“ zur Sprache kamen. Ähnlich wie davor auf Veranstaltungen im Moabiter Afrika-Haus und im Neuköllner SAVVY Contemporary, auf denen ein Kolonialbogen bis zur heutigen „afropolitanen Weltstadt“ Berlin gezogen wurde.

„Gleichsam als Umkehrung der Berliner Konferenz von 1884“ fand zur selben Zeit im Ballhaus Naunynstraße die erste Indaba (ein Zuluwort für Zusammenkunft) Schwarzer Kulturschaffender statt.

Die Amadeo-Antonio Stiftung veröffentlichte 2014 zum Thema die Broschüre: „Völkische Siedler/innen im ländlichen Raum“. Sie handelt von Neonazigruppen, die heute auf deutscher Scholle Kolonien bilden. Die erste „Kolonialsiedlung“ entstand um 1930 im Wedding, wo neuerdings in der Kameruner Straße ironischerweise viele der in Berlin lebenden Kameruner Quartier bezogen haben.

Politische Korrektheit ist kein sprachliches, sondern ein ökonomisches Problem

Im „Return to Sender“-Programm des HAU habe ich mir „Ha!“ (am 6. und 7. 3.) vorgemerkt: „Ausgehend von Versen des Sufi-Dichters Rûmî erkundet die Marokkanerin Bouchra Ouizguen verborgene menschliche Obsessionen. An ihrer Seite drei traditionelle Aïtas – Nachtclubsängerinnen (Foto Seite 1). In Gesang und Tanz suchen sie den Wahnsinn, jenen ‚Reichtum der Vernunft‘, der an die Ränder der Gesellschaft gedrängt wird“. Auch im HAU kommt man am 10. 3. auf die Afrika-Konferenz und die dort beschlossene Teilung des Kontinents zu sprechen – mit der Lecture Performance „Black Bismarck revisited“ der Gruppe andcompany&Co. „Nzela ya Mayi“ heißt ein Stück, in dem der Tänzer Dinozord (am 12. und 13. 3.) von einem Friedhof in Zentralafrika erzählt, wo Kongolesen begraben wurden, die der belgische König 1897 nach Europa verfrachtete, um sie auf der Brüsseler Weltausstellung als Exponate zu präsentieren.

Im HAU präsentieren nun Boyzie Cekwana und Nina Stottrup Larsen täglich „Banana Republics – Here Be Dragons“: Mit inszenierten Führungen, Gameshows und einer fiktiven Talkshow suchen sie „Antworten auf die Frage nach einer Wiedergutmachung für das koloniale Vermächtnis“. Politische Korrektheit ist kein sprachliches, sondern ein ökonomisches Problem. Sifiso Majola untersucht in seinem Ensemblestück „Run silent, run deep“ verschiedene „Manifestationen von Macht“ (am 10. und 11. 3.). Und Faustin Linyekula verfolgt in seiner Tanzperformance „Statue of Loss“ (am 14. und 15. 3.) die Spuren von im Ersten Weltkrieg gefallenen afrikanischen Soldaten, dazu thematisiert er den – vergeblichen – „Versuch eines Mannes, ein Monument für sie zu errichten“. Was bleibt also heute, „100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, von den kongolesischen Soldaten, die in Afrika und Europa kämpften und starben?“

Einige weitere Darbietungen bzw. Künstler haben so poetische Namen wie „Telepathic Relay“ und „Travelling Trees“. Am 10. 3. findet ein Gespräch im HAU 2 statt mit Alexander Karschnia, Bonaventure Ndikung, Simone Ayivi und Agnes Wegner. Sie diskutieren darüber, wie kulturelle Einrichtungen und Künstler in Berlin mit dem kolonialen Erbe umgehen. Und fragen sich dabei: „Wo liegen die ‚blinden Flecken‘ in den künstlerischen Praktiken und in den öffentlichen Institutionen?“ Einer der „blinden Flecken“ könnte darin bestehen, dass keiner der eingeladenen Künstler aus Ägypten, Äthiopien, der Demokratischen Republik Kongo, Marokko, Mosambik und Südafrika die Existenzprobleme der hier seit dem Arabischen Frühling gestrandeten Flüchtlinge aus Afrika thematisiert. Das geschieht ab dem 18. 3. im Maxim-Gorki-Theater, wo „Flüchtlinge und UnterstützerInnen“ ihre „My Right Is Your Right!“-Kampagne beginnen – getragen von rund 40 Berliner Initiativen. Darunter befinden sich nicht wenige Künstlergruppen. Getreu dem Credo von Krzysztof Wodiczko: „Der Künstler muss als nomadischer Sophist in einer migranten Polis aufzutreten lernen.“