Gute Sätze, schlechte Sätze

So schöne Sätze singt bloß Norbert Leisegang: „Geh’n wir mal davon aus, dass jeder Mensch mehr oder minder bekloppt ist.“ Und das auf seinem neuen Album seiner Band Keimzeit„ Auf einem Esel ins All“, so nebenbei und lässig, dass selbst die verwinkeltste und hintersinnigste Poesie klingt wie beiläufig hingeworfene Alltagssprache. Dass Keimzeit dafür zwar eine treue, aber nicht übermächtig große Fangemeinde gefunden haben, gehört zu den Ungerechtigkeiten, an denen die Pophistorie reich ist. Dass Leisegang seine Band nun schon seit bald 35 Jahren weitgehend unbeschadet durch viele Besetzungswechsel, einen politischen Radikalumschwung und zwei verschiedene Gesellschafts- und Kulturvermarktungssysteme führt, gehört dafür aber zu den aufbauenden Geschichten der Pophistorie.

Diese Geschichte bekommt nun eine neue, ziemlich hörenswerte Episode hinzugefügt. „Kompliziert wird es später noch“, singt Leisegang. Es wirkt, als würde er über seine Band sprechen. Nicht mehr die Geschwisterkapelle wie zu frühen Zeiten in Belzig, aber immerhin Bruder Hartmut spielt noch den Bass. Der Bandklang, der sich im Laufe der Jahrzehnte entwickelt hat, ist trotzdem ziemlich einzigartig: Keimzeit können wie kaum eine andere Band – außer vielleicht Erdmöbel – so richtig loslegen, die Gitarren lärmen, Bläser tröten und das Schlagzeug rotieren lassen, und trotzdem immer zurückhaltend, ja geradezu schaumgebremst klingen. Das mag für von den krachenden Dynamiksprüngen aktueller Popmusik geplagte Ohren erst einmal seltsam klingen, ist aber eine große Kunst. Und passt natürlich hervorragend zu der zurückgenommenen, wohltuend knalleffektfreien Lyrik von Leisegang.

Wie ein Gegenentwurf dazu klingt Radio Havanna. Der Punkrock des Berliner Quartetts, das ursprünglich aus Thüringen stammt, ist nicht nur poppig, sondern auch aufdringlich. Und die Texte, die Sänger Fichte auf dem neuen Album „Unsere Stadt brennt“ singt, sind im besten Fall ungehobelt, meist aber einfach ungelenk. Die Großstadt ist ein Dschungel, die Welt steht in Flammen und ein sehnsüchtiges Herz ist aus Glas: Mehr ausgelutschte Metaphern gab es selten. Mit ihren donnernden Gitarren und den parolenhaft gegrölten Refrains sind Radio Havanna weit entfernt von ihren Vorbildern The Clash, aber dafür sehr nah dran an den Toten Hosen.

THOMAS WINKLER

■  Keimzeit: „Auf einem Esel ins All“ (Comic Helden/ Edel), 6. 3., Maschinenhaus der Kulturbrauerei

■  Radio Havanna: „Unsere Stadt brennt“ (Uncle M/ Cargo), 6. 3., Lido)