Kreischen, krachen, grollen, jaulen

HÖLLENLÄRM Schon lange nicht mehr wurde Wut so konsequent zum Klingen gebracht: Die Band Treedeon versammelt verdiente Hardcore-Musiker – voran die frühere Jingo-de-Lunch-Sängerin Yvonne Ducksworth. Sie schreien sich die Seele aus dem Leib

Die Stücke rollen wie ein schlecht geölter Panzer: Die Kette klemmt, der Motor quietscht

VON THOMAS WINKLER

Nancy Sinatra und Lee Hazlewood. Sonny und Cher. Kylie Minogue und Nick Cave. Natürlich Jane Birkin und Serge Gainsbourg. Und jetzt also Yvonne Ducksworth und Arne Heesch. Zugegeben, dieses Duett hat mit der klassischen Idee, im Zwiegesang eine romantische Liebe zu vertonen, nicht mehr viel zu tun. Besser gesagt: rein gar nichts. Nein, Ducksworth und Heesch brüllen sich eher an. Oder, im besten Falle: brüllen gemeinsam.

Treedeon heißt die Band, bei der es zu den ungewöhnlichen Duetten kommt, die nun erstmals auf einem Album erscheinen. In diesem neuen Projekt haben Musiker zusammengefunden, die sich in den vergangenen Jahrzehnten in Berlin und darüber hinaus einen guten bis legendären Ruf erspielt haben.

Zum einen Yvonne Ducksworth. Die mittlerweile 47-jährige Kanadierin sang von 1987 bis 1996 bei Jingo de Lunch. Die Berliner Band spazierte so lange durchs Niemandsland zwischen Punkrock und Hardcore, bis die Grenzziehung keinen Sinn mehr ergab. Jingo de Lunch blieben zeit ihres Bestehens die Hausband der typischen Kreuzberger Mischung, die langsam vom Mythos zum Image verkam: Punk, besetzte Häuser, Multikulti, schwarzer Block, Abriss-Romantik. Und die Afrokanadierin mit den gewaltigen Dreadlocks und der noch gewaltigeren Stimme wurde zum Aushängeschild. Es gab keinen 1.-Mai-Steineschmeißer, der nicht in sie verliebt gewesen wäre. Später moderierte Ducksworth eine Punk- und Metal-Sendung auf Viva.

Pionier im Noiserock

Nicht ganz so sagenhaft ist die Vergangenheit von Arne Heesch. Der stammt aus Flensburg, wo er 1991 zusammen mit seinem Bruder und seinem Cousin Ulme gründete. Die Familienkapelle wird für allerhand Pioniertaten im bundesdeutschen Noiserock verantwortlich gemacht, löste sich aber Ende der Neunzigerjahre auf und wurde von Heesch anschließend immer wieder, aber nur sporadisch wiederbelebt.

Zusammen fanden die beiden Musiker eher zufällig. Heesch suchte jemanden, der ihn bei einem Akustikgig unterstützte. Er spielte Gitarre, Ducksworth übernahm den Bass, den Gesang teilten sie sich. Die ersten Auftritte bestritten die beiden noch als Duo – ohne langfristige Band-Pläne und vor allem ohne große Verstärkung – zum Beispiel im Schokoladen Mitte. Beim dortigen Konzert bot sich dann Christian „Boomer“ Böhm, der sonst bei Kaeng trommelte, als Schlagzeuger an. Treedeon waren komplett und nun doch eine Band – und schon das nächste Konzert im Franken, der Kneipe, in der Ducksworth hinter dem Tresen ihre Brötchen verdient, war dann anständig laut und verzerrt.

Extrem laut und verzerrt sogar. Mit dem Debütalbum „Lowest Level Reincarnation“ wird nun dokumentiert, welch einen Höllenlärm Treedeon machen können. Die acht Songs dauern gut 50 Minuten. Das hat seinen Grund. Denn die Stücke rollen wie ein schlecht geölter Panzer durch matschige Schützengräben. Auf und ab geht es, die Kette klemmt, der Motor quietscht, immer wieder kommt die Fahrt ins Stocken, niedergewalzt wird alles, was sich im Weg befindet. Darüber schreien, kreischen, krähen, grollen, jaulen Ducksworth und Heesch wie verwundete Tiere.

Die Experten aus der fröhlich mit unübersehbaren Subgenres hantierenden Metal-Szene nennen solche Extreme Doom oder Sludge. Der geneigte Zuhörer darf feststellen, dass Wut schon lange nicht mehr so konsequent in Klang umgesetzt wurde.

Yvonne Ducksworth hat sich mit Treedeon vielleicht nicht neu erfunden, aber doch eine neue Relevanz verschafft. War sie doch nach dem Ende von Jingo de Lunch in die USA gegangen, hatte sich eine berufliche Existenz als Fernmeldetechnikerin in Phoenix aufgebaut und war doch wieder nach Berlin zurückgekehrt. Diagnose: Heimweh nach Kreuzberg.

Eine zweite Auflage von Jingo de Lunch geriet zwar musikalisch durchaus überzeugend, aber fühlte sich doch arg retrospektiv an. Treedeon dagegen lassen keinerlei sentimentale Gefühle aufkommen. Jingo-Fans, die sich auf alte Hits wie „Did You Ever“ freuen sollten, erwartet nun kompromissloser Krach.

Gegen Kitsch-Kreuzberg

Eine Ikone ist und bleibt Yvonne Ducksworth trotzdem. Die Idee von Kreuzberg als Hort alternativer Lebensentwürfe mag verkommen sein zum pittoresken Hintergrund für die Selfies, die minderjährige Nachtschwärmer aus aller Welt in die spießige Heimat schicken. Aber Ducksworth, überzeugte Veganerin und Mitglied der Roller-Derby-Truppe Berlin Bombshells, wettert gegen den alltäglichen Rassismus, der ihr immer noch auch in Kreuzberg begegnet, schimpft auf Bierbikes und kämpft generell tapfer dagegen an, dass ihr Kreuzberg degradiert wird zur kitschigen Traumvorstellung pubertierender Touristen von überallher.

Andererseits: Es sind genau diese Vorstellungen, die auch sie selbst einst, als sie mit 16 Jahren am Kottbusser Tor aus der U-Bahn stieg, sich sofort zu Hause fühlen ließen. In jedem Song von Treedeon ist, egal was Ducksworth und Heesch tatsächlich singen, vor allem eins zu hören: die Irritation und vor allem die Wut darüber, dass das eigene Leben zum Klischee zu werden droht.

■ Treedeon: „Lowest Level Reincarnation“ (Exile on Mainstream/Soulfood); Record Release Party am 6. März, 21.30 Uhr im Tiefgrund