Medienkunst in Dortmund: 25 Minuten lang „Hallo“ schreien

Stimmen der Propaganda, Formen der Zensur und die Rhetorik von Diktatoren: „His Master’s Voice“ ist eine gelungene Ausstellung.

Manuel, aus Daniel Hofers Serie „Sunday Morning.“ Bild: HMKV Dortmund

Zuzutrauen wäre es ihm ja. In seinem Wahn droht der nordkoreanische Jungdiktator der Welt mit einem Atomkrieg und lässt auch sonst keine Gelegenheit aus, großmäulig um internationale Aufmerksamkeit zu buhlen. Warum also sollte Kim Jong Un nicht dialektischen Sex und die Überlegenheit des nordkoreanischen Cunnilingus gegenüber westlichen Demokratien propagieren?

Vermutlich weil er nicht ganz so verrückt ist, wie es scheint, und weil Despoten Selbstironie nicht kennen. Young-Hae Chang und Marc Voge haben da ein wenig nachgeholfen und angeblich im Auftrag von Kim Jong Il, dem Vater von Kim Jong Un, ein witziges und hintersinniges Propagandastück geschaffen. Zu treibender Soulmusik inklusive Händeklatschen animierte das südkoreanische (!) Künstlerduo fiktive Slogans, die kommunistische Politik und Sexualität frech ins eins setzen.

Der Hartware MedienKunstVerein im Dortmunder U zeigt die Arbeit derzeit auf vier quadratisch angeordneten Monitoren, was an Kraftwerk erinnert. Doch anders als bei den Düsseldorfern korrespondieren die projizierten Wörter nicht synchron mit der Musik. Stattdessen bildet die schnelle Taktung der weißen Schrift auf schwarzem Hintergrund eine zweite Rhythmusspur.

Auf www.yhchang.com ist der Clip zwar auch zu sehen. Einen Besuch von „His Master’s Voice“ ersetzt das Internet aber nicht. Die wunderbare Schau versammelt künstlerische Arbeiten aus den 60er- und 70er-Jahren (William S. Burroughs, Richard Serra) bis heute und untersucht zumeist spielerisch, wie Sprache funktioniert und wirkt.

Zynische Botschaften als cooler Lifestyle

Selten glückt es, audiovisuelle Medien dramaturgisch so gelungen zu inszenieren wie hier. Üblicherweise warten Kuratoren mit vielen dunklen Boxen auf, in denen sie die Zuschauer mit endlos langen Filmen überfordern. Oder aber sie präsentieren Werke so dicht beieinander, dass die Wahrnehmung der jeweils anderen zwangsläufig beeinträchtigt wird. Kuratorin Inke Arns arrangierte stattdessen einen abwechslungsreichen Kunstparcours, der die Aufmerksamkeit der Besucher nicht gleich erschöpft, indem sie Arbeiten aussuchte, die vergleichsweise kurz sind oder mittendrin einen mühelosen Einstieg erlauben.

Im Zentrum der Ausstellung steht der Nachbau eines Studios des ruandischen Radiosenders RTLM, in dem der Schweizer Regisseur Milo Rau Auszüge aus Sendungen reinszenierte, in denen die Moderatoren ihre Hörer 1994 zum Abschlachten von über einer Million Tutsi anstachelten. Geschickt verpackt in eine dynamische Mischung aus aktuellen Popsongs und Reportagen gingen unverhohlene Mordaufrufe über den Äther.

Anders als die Propagandisten in totalitären Systemen tarnten die Radiomacher ihre rassistischen und zynischen Botschaften als coolen Lifestyle. Ergänzt wird die Performance „Hate Radio“ um originale Videoberichte von Opfern und ehemaligen Moderatoren. Ausstellungsbesucher können die jeweilige Tonspur über kleine Taschenradios verfolgen.

Tonalität und Wirkung

Mit Manipulation durch Weglassen im Radio beschäftigte sich Asli Cavusoglu. Die türkische Radio- und Fernsehanstalt TRT versuchte 1985 205 Wörter aus dem Sprachschatz zu streichen. Begriffe wie Revolution und Freiheit wären nachvollziehbar, jedoch setzten die Zensoren ebenfalls harmlose Wörter wie Erinnerung, Gedächtnis, Natur, Traum und Theorie auf die schwarze Liste. Inzwischen wurde das Verbot wieder aufgehoben. Aus den tabuisierten Vokabeln komponierte die Künstlerin Cavusoglu Musikstücke, die sie auf Vinylplatten presste und die der Besucher nun selber auflegen kann.

Wie entscheidend die Tonalität für die Wirkung von Sprache ist, hat Charlie Chaplin hochkomisch in seiner Hitlersatire „Der große Diktator“ vorgeführt. Nicht der Inhalt der Abschlussrede ist von Bedeutung, sondern ausschließlich die Art und Weise der Sprachmodulation. Das hat schon der zweijährige Sohn eines amerikanischen Pfingstkirchlers verinnerlicht. Wie ein erwachsener Prediger stößt der durch YouTube bekannt gewordene Babymissionar Kaskaden an wortähnlichen Lauten aus, um seinem Publikum einzuheizen. Das ist einerseits sehr lustig, andererseits nicht weniger erschreckend.

Bedrohlich wirkt auch der Sprecher in einem Video von Stephan Panhans. Mit starrem Blick und schneller als einst Dieter Thomas Heck redet ein körperlich unbewegter, aber innerlich erregter Mann auf den Betrachter ein. Obwohl er deutlich spricht, bleibt unverständlich, worum es geht. Langsam lädt sich eine aggressive Stimmung auf, ohne dass eine verbale Attacke formuliert wird.

Ein Klassiker des Selbstexperiments ist eine Performance von Jochen Gerz, für die der Künstler bis zur körperlichen Erschöpfung „Hallo“ schrie. Er sprang dabei auf der Stelle, wedelte mit den Armen und formte sie zum Trichter. Nach 25 Minuten versagte seine Stimme. Nicht die Stimme, aber sein antrainiertes Falsett hat Michael Jackson immer dann verloren, wenn er sich plötzlich nicht mehr unter Kontrolle hatte, schreibt John Jeremiah Sullivan in seinem Essayband „Pulphead“. Noch ist Auto-Tune nicht angeboren.

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