Heimat- und Fernwehmusik von und für weiter weg: Ostwärts mit Tralakla und mit Sebastian Arnold ins All

Immer wieder gern beschworen wird die Funktion von Berlin als musikalische Ost-West-Drehscheibe. Auch Tralalka können davon ein Liedchen singen – und noch ein oder zwei zusätzliche, die in weitere Himmelsrichtungen führen. Schließlich liegt Bulgarien doch vor allem eigentlich im Süden. Und genau dort lernte sich der Kern der mittlerweile siebenköpfigen Berliner Band in einem bekanntlich ziemlich sonnigen Sommer 2010 kennen. Bereits dort, so erzählt es zumindest die Legende, die sie nun verbreiten, begann man, lokale Volkslieder einzusammeln, die nun interpretiert werden. Auf dem gemeinsamen Weg nach Istanbul stand dann schon fest: Daraus sollte eine Band werden.

Nun, zwei Jahre später, erscheint die erste EP von Tralalka. Auf der finden sich fünf garantiert unbekannte Volkslieder, die vom Leben auf dem Dorf handeln und aus Ländern wie Georgien, Kroatien, Polen und natürlich Bulgarien stammen, wo die Band ihren Anfang nahm. Nun jammert die Fiedel, klagt das Akkordeon und wimmert die Saz, während sich die Stimmen waidwund umeinander winden. Dazu kann man wahlweise tanzen oder weinen, aber im Gegensatz zur gewöhnlichen Balkankapelle klingen Tralalka niemals nach einem Abziehbild. Das mag daran liegen, dass sie geschickt Klischees vermeiden, indem sie einerseits althergebrachtes Liedgut verarbeiten, dieses aber andererseits mit einem gewissen Chanson-Esprit versetzen. Auch das sonst so beliebte Hoppeln in diesem Genre ist bei Tralalka nur zart ausgeprägt, dafür aber klingen die Gitarren schon mal nach simplem Folk. Kurz: Der Authentizitätshuberei treten Tralalka erfolgreich mit geschickten Modernisierungen entgegen, damit sich die Ost-West-Drehscheibe auch wirklich dreht.

In vollkommen andere Sphären hebt Sebastian Arnold ab. Der Drummer benutzt sein Schlagzeug als Raumschiff und reist auf „Interstellar Getaway“ in unendliche Weiten, kaum gebremst von Konventionen. Die Grundlage ist das Getrommel des Berliners auf einem elektronischen Drum Kit, das er aber mit Sounds aus dem Sampler und von klassischen Synthesizern ergänzt. Der dadurch entstehende Effekt ist nicht vordergründig, aber spannend: Denn das Klangbild erinnert zwar an typische Electronica, die aus dem Computer stammt und oft gerade aus der Monotonie ihren Reiz entwickelt. Aber weil der Rhythmus nicht programmiert ist, sondern Arnold spielt wie ein Jazzschlagzeuger, also zwar auf den Punkt, aber immer abwechslungsreich, will sich dieser beruhigende Effekt nicht einstellen.

Das Raumschiff, das Sebastian Arnold lenkt, dockt immer wieder im Krautrock an, in der Offiziersmesse läuft Postrock, und auf der Krankenstation versucht man, die Verletzten des letzten Klingonen-Angriffs mit Tangerine Dream ruhigzustellen. Die interstellare Reise Arnolds entpuppt sich dann zwar doch eher als ein gemütlicher Ausflug in die Klangwelt des hoffnungsvollen Futurismus der Sechziger und frühen Siebziger Jahre. Aber man muss ja nicht immer gleich an der ganz großen Drehscheibe drehen. THOMAS WINKLER

■ Tralalka: „Tralalka“ (Eigenvertrieb) Release Party heute im Grünen Salon

■ Sebastian Arnold: „Interstellar Getaway“ (Beeah-Music), Release Party heute im Marie-Antoinette