Kolumne Blagen: Agathe gegen das Oratorium

Musikalische Früherziehung ist ja eine tolle Sache. Aber mitten im Weihnachtskonzert – und dann auch noch mit Lärmschützern?

Manchmal höre ich nur am beschwingten Schritt der Einssechzigblondine, dass irgend etwas in ihrem komplizierten Jugendleben gut läuft. Nicht, dass sie das auch in Worte kleiden würde - den leicht angeödeten Ton mir gegenüber behält sie selbstverständlich bei, und auf die Frage, wie ihr Tag gewesen sei, gibts das übliche "Watsollschonjewesensein?"

Ja, was soll schon gewesen sein. Man weiß es nicht, man kriegt es auch nicht raus. Wie so ein Kind innerlich verfasst ist, folgt keiner Logik. Es ist egal, wie alt das Nachgeborene ist, ob es satt ist, gesund, ausgeschlafen und möglicherweise sogar gute Zensuren hat. All diese vielen kleinen Glücklichmacher sind ein Fliegenschiss gegen Unbill wie jene, dass - nur mal als Beispiel - die eigene Mutter die Fernbedienung kapert. Das ist dann natürlich schlimm und bedeutet für die Heranwachsende, nicht gleichzeitig telefonieren, chatten und Trash-TV gucken zu können. Und dann ist die Laune augenblicklich wieder richtig im Eimer.

Um der schlechten Stimmung zu entkommen, verlasse ich das Haus und steuere jenen Berliner Bezirk an, in dem es fast so viele Kinderwagen wie Volvos Kombis gibt. Dort sollen ja die Kinder besonders glücklich sein - statt Fernsehern haben ihre Eltern ihnen Wimmelbilder an die geweißelten Wände gepinnt. Genau in dieser Gegend ist ein Konzert annonciert: Bachs Weihnachtsoratorium. Ich quetsche mich in die Kirchenbank, bereit, mich mal so richtig emotional heben und erfreuen zu lassen.

Doch was ist das? Wann immer mal etwas leiser gejauchzet und frohlocket wird, gellt Gequake durch den Bau. Wer stört? Auf der Empore haben sich direkt hinter den Musikern drei Mütter mit ihren dazugehörigen fünf Kindern postiert. Sie sind heute - anders als die anderen vierhundert Konzertbesucher - gekommen, um ihren Töchtern und Söhnen mal prinzipiell das Wesen klassischer Musik näherzubringen.

"Was ist daaaas?", quakt ein Kind mitten ins Solo. "Das da ist die Pauke, Agathe, die macht BUMM." "Und wer ist der da?" - "Der Mann, der so streng zu uns rüberguckt, das ist der Dirigent, Cornelius - alle müssen machen, was er will."

Alle außer euch, oder was?! Ich hab nix gegen Kinder im öffentlichen Raum, wirklich nicht. Ich bin auch für musikalische Früherziehung. Aber diese pädagogische Armada da geht mir mächtig auf den Zünder. Warum schreien die denn bloß so?, frage ich mich gerade. Da entdecke ich die Kopfhörer. Die Tiptopmütter haben es doch tatsächlich nicht verabsäumt, ihren Kinder riesige hellblaue Lärmschützer aufzusetzen. Das ist ja auch wichtig, nicht wahr, so ein Oratorium kann ganz schön laut werden. Da müssen wir eben alle mal ein bisschen Rücksicht nehmen.

Was soll ich sagen? Das Konzert nahm seinen Lauf, die Kinder und ihre Mütter tauschten sich bis zum Schluss munter über das Dargebotene aus. Niemand wagte es, ihnen das Handwerk zu legen. Weil Kindermaßregeln sakrosankt ist, ist Müttermaßregeln jetzt auch verboten? Offenbar ja.

Irgendwann war es dann vorbei. Ich stapfte nach Hause, fand dort die missmutige Einssechzigblondine vor und maßregelte sie erst einmal, dass es eine Freude war.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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