Kolumne Das Schlagloch: Der Hass der Anderen

Die deutschen Muslime sind weiter, als es eine pauschale Islamkritik suggeriert.

In der Debatte über den Islam in Europa und eine pauschalisierende "Islamkritik", die vom Schock übers Schweizer Minarettverbot angestoßen und in allen deutschen Zeitungen geführt wurde, bilden sich die sonderbarsten Fronten. Manchmal fragt man sich, wie sich die Feuilletonlandschaft davon je wieder erholen soll: Kollegen, die einander jahrelang kannten und bisher glaubten, dass sie ungefähr dieselben freiheitlich-demokratischen Grundüberzeugungen teilten, finden sich plötzlich auf verschiedenen Seiten wieder. In manchen Zeitungen geht der Riss quer durch die Redaktion - in einer Ausgabe kritisiert jemand eine bestimmte Form der "Islamkritik" als rassistisch, tags darauf schreibt sein Kollege dagegen an.

In Deutschland heißen die bekanntesten Ankläger des Islams Henryk M. Broder, Seyran Ates und Necla Kelek. Kelek selbst verweist gern darauf, wie knapp in ihrer Kindheit Brot und Freiheit waren, auf dass ihr hartes Schicksal gleichsam für die Tiefe ihrer späteren Einsichten bürge. Auf ähnliche Weise kokettierte Broder im Tagesspiegel mit dem Image des Schmuddelkinds: Ates, Kelek und er seien "Beutedeutsche", schrieb er dort, "die sich einen Platz in der deutschen Gesellschaft erkämpft haben, der anderen qua Herkunft in den Schoß fällt", schrieb er. Man könne sagen, ihnen fehle der "Stallgeruch" - was ihm selbst, Ates und Kelek nichts ausmachen würde, aber gewissen "Feuilleton-Brüdern schon". In der taz griff Cigdem Akyol die Ethno-Karte auf und behauptete: "In der Debatte um Islam und Islamismus versuchen urdeutsche Feuilletonisten drei Einwandererkindern das Wort zu verbieten."

Diese Darstellung ist grundfalsch. Zum einen, weil nicht nur "urdeutsche" Feuilletonisten allmählich die Nase voll haben von den plumpen Verallgemeinerungen des genannten Trios, an denen viele Einwandererkinder schon seit langem verzweifeln. Falsch zum Zweiten, weil das, was die drei Islamkritiker sagen, von vielen urdeutschen Lesern durchaus goutiert wird. Bücher von zweifelhafter fachlicher Qualität wie die von Kelek werden ja nicht deshalb in so hohen Auflagen gedruckt, weil deutsche Bildungsbürger diese Autorin ignorieren. Sondern weil sie an ihren Lippen hängen - so wie Kelek ihnen wiederum nach dem Munde redet. Denn nichts hört ein offener oder klammheimlicher Ausländerfeind lieber, als wenn ihnen eine echte Türkin versichert, dass die - natürlich anderen! - Türken genauso dreckig, primitiv und patriarchal sind, wie sie - die Urdeutschen - es schon immer geahnt haben. Autorität qua Authentizität eines durchlebten Leides - auf diese simple Formel lässt sich nicht nur ein guter Teil der jetzigen Zeitungsdebatte, sondern auch ein ganzes Orient-Segment des deutschen Buchmarkts bringen.

Falsch und nachgerade unverschämt ist die Gegenüberstellung Islamkritiker contra Urdeutsche aber auch, weil zu den Kritikern der "Islamkritiker" seit Jahren viele Menschen mit muslimischem (Migrations-)Hintergrund zählen. So unterschiedliche AutorInnen wie die Islamwissenschaftler Katajun Amirpur und Navid Kermani, die Migrationsforscherin Yasemin Karakasoglu, die Journalistin Mely Kiyak, der Schriftsteller Feridun Zaimoglu und ich haben bereits unzählige Male unser Unbehagen an einer Islam-Debatte dargelegt, die falsch verallgemeinert, unzumutbar polemisiert und ein wohlfeiles Ventil für jene Ressentiments bietet, die man früher Ausländerfeindlichkeit nannte und heute oft die Form von Islamfeindlichkeit annehmen.

Die weithin geübte "Islamkritik" suggeriert meist pauschal, dass vier Millionen Muslime in Deutschland denselben unreflektierten, unbeweglichen Islam praktizieren. "Endlich" müsse denen jemand mal den Spiegel vorhalten, so könne es ja wohl nicht weitergehen! Doch den Weg zur Weiterentwicklung haben die europäischen Muslime längst beschritten. Man gibt ihnen keine wertvollen Impulse, indem man sie vom Straßenrand aus mit Gehässigkeiten bombardiert. Vielmehr sollte man sie unterstützen, indem man ihnen in Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen Zugang zur gemeinsamen deutsch(sprachig)en Öffentlichkeit verschafft. Es muss normal werden, dass wir Muslime unseren Pluralismus offen zeigen und diskutieren, ohne dass sich jedes Mal ein Außenstehender angesichts des vermeintlichen Bruderzwists schadenfroh die Hände reibt.

Gewiss fallen manche heutigen Koraninterpretationen so kleingeistig aus, dass sich mir persönlich die Nackenhaare aufstellen. Viele andere aber nicht. Man lasse einmal die Religionspädagogin Lamya Kaddor von den Diskussionen in ihrem Islamunterricht erzählen. Oder man frage Aiman Mazyek, mit welch unterschiedlichen Positionen er innerhalb seines Zentralrats der Muslime zu tun hat. Man treffe die Begründerinnen des Aktionsbündnisses muslimischer Frauen, die sich mit unglaublicher Stärke und Offenheit den Kontroversen innerhalb der eigenen Gruppe stellen. Selbst ganz unfeministische, traditionelle Moscheevereine sind längst nicht mehr gegen Nachfragen immun, sondern müssen Argumente für ihre Ansichten bemühen.

Innerhalb solcher Diskussionen gilt es Stellung zu beziehen und gelegentlich auch unorthodoxe Positionen zu vertreten - nicht auf Teufel komm raus, weil im Islam angeblich alles geändert werden müsse, sondern eben dann, wenn man es inhaltlich für wichtig befindet. Womit wir beim letzten Stichwort, dem "Mut" wären, den angeblich nur die Islamkritiker bräuchten. Doch auch die Verteidiger der multikulturellen Gesellschaft sind vehementen Anfeindungen ausgesetzt - unter anderem in Online-Leserforen, wo jeder vermeintlich "islamfreundliche" Artikel persönliche Beleidigungen, allgemeine Diffamierungen der "Musels" und die Schilderung von Gewaltfantasien nach sich zieht.

Dabei macht der Hass der im Internet organisierten Islamfeinde auch vor nichtmuslimischen Publizisten nicht Halt. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum die gegenwärtige Debatte mit so viel Ausdauer und Leidenschaft geführt wird. Gerade im Internet zeigen sich Islamfeinde allen Andersdenkenden gegenüber derart aggressiv, dass sie die Behauptung, es gehe ihnen um Kritik und nicht um Hass, selbst ad absurdum führen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.