Kolumne Gerüchte: Der neue Stress der Frauen

Bloß nicht vergleichen! Aber warum haben andere Frauen vier Kinder und schaffen einen Vollzeitjob?

Es war schon nach Mitternacht, als Britt und ich aufbrachen von der Gartenparty bei Ulrike. Ein großes Fest war es gewesen, 60 Leute, externes teures Catering zu mediterranen Themen mit Servicepersonal. Keine von uns beiden sprach, als Britt den Wagen startete. Aber ich wusste, was noch kommen würde.

"Also Ulrikes Jüngster wirkt ein bisschen altklug", fängt Britt an. "Kein Wunder, bei dem Leistungsstress der Eltern", sage ich. "Diese Kinder müssen funktionieren, sonst bricht die ganze Konstruktion ein", meint Britt. Wir lästern, um uns nicht klein zu fühlen.

Ulrike ist eine renommierte Anwältin, Vollzeitjob. Ihr Mann ist Hochschullehrer. Sie haben sich jetzt sogar für einen Tanzkurs angemeldet, um ihre Partnerschaft zu pflegen. Die vier Kinder spielen Musikinstrumente, das erste hat gerade ein Einser-Abitur gebaut. Auf Ulrikes Gartenfest fragte mich ein Gast, was ich denn so mache. Ich berichtete von meinem Job bei meiner kleinen, schlecht zahlenden Zeitung. Ich arbeite nur Teilzeit, auch wegen der Kinder. Nein, ich habe nur zwei, und die Älteste zieht wohl bald aus. Nein, ich schreibe nicht nebenbei an einem Buch. Ob ich denn nicht noch mal richtig durchstarten wolle nach der Familienphase, fragte mich mein Gesprächspartner. Tja. Durchstarten! Wo ich doch am liebsten Rad fahre.

Mir fiel die These des US-amerikanischen Soziologen Barry Schwartz ein zum Thema "Vielfalt der Lebensentwürfe". Je mehr Wahlmöglichkeiten wir im Leben haben, so Schwartzens Theorie, desto mehr geraten wir unter Rechtfertigungsdruck. Weil wir dann im Alltag beständig vor uns und anderen rechtfertigen müssen, warum wir nicht noch toller leben. Weil wir uns als Versager fühlen, wenn wir nicht alles auf einmal schaffen. Versagergefühle! Für so was sind Frauen ja anfällig. Erst recht, seitdem Jahr um Jahr mit jedem neuen Gesetz zur Kita-Betreuung, zum Elterngeld, zum Unterhaltsrecht für die Frauen immer auch ein Mehr an Erwartungen mitgeliefert wurde.

Beruf muss sein, aber bitte mit guter Bezahlung und nicht in Schlechtverdienerfeldern wie Kunstgeschichte oder Krankengymnastik. Ein Mann muss sein, denn Sex gehört zum erfüllten Leben, nicht wahr. Genauso wie Kinder, mehrere Kinder, von wegen Geschwisterbindung. Ein Job ist zu wenig, Führungsposition sollte schon sein. Macht auch unabhängiger, falls die Ehe zerbricht. Und ein neuer Lebenspartner gefunden werden muss. Deswegen sollte eine Frau immer auf sich achten, Sport treiben, um sexy zu bleiben. Uff.

"Ich bin neuerdings so müde nach Feten", sagt Britt in die dunkle Nacht hinein, "apropos, gehst du nächste Woche zu Lisas Geburtstag?" Lisa ist Krankenschwester. Nach 15 Jahren Dienst auf einer Intensivstation und einem Burnout musste sie ihre Arbeitszeit verringern, ihr Gehalt sackte auf 1.100 Euro netto ab. Lisa kann einiges erzählen zum Thema "Schicksale und Biografien". Außerdem erleichtert sie mir manche Recherche im Gesundheitsbereich. Lisa hat keine Kinder, aber einen depressiven Freund und einen begrünten Hinterhof. "Ich gehe hin", sage ich. Ich werde wieder einen Marmorkastenkuchen mitbringen, Britt wohl ihre selbst marinierten Asiasteaks. "Ist eigentlich spannend, dass Frauen heute so unterschiedlich leben", sagt Britt. So kann man es auch sehen.

BARBARA DRIBBUSCH

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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