Kolumne Parallelwelten: Sie würden, könnten sie!

Warum hat die Papstkirche immer noch so einen guten Ruf? Weil ihre Botschaft eine der Liebe sei? Brutaler Unfug

Klar, niemand kann ernsthaft ermessen, ob früher alles besser, schlechter oder ähnlich wie heute war. Ist alles eine Frage der Person, seiner oder ihrer Fantasie. Die einen wähnen die Welt am Abgrund wandeln, die anderen nicht, Weiteren ist die Frage überhaupt egal. Heute ist heute! Muss jeder selbst entscheiden.

Ich würde sagen: Es ist gut, dass es das Fernsehen gibt, Fernbedienungen, Spülmaschinen, Straßenbeleuchtung und Kondome. Das gabs ja früher nicht - stattdessen ins Bett gehen mit dem Sonnenuntergang, verkeimtes Geschirr, Folter im Namen Gottes, dunkle Gassen - und Sex mit dauerndem Risiko.

Und jetzt zum eigentlichen Thema: Ich bin gottsfroh, dass die katholische Kirche hierzulande eine - wenn auch viel zu stark alimentierte - Religion ist unter vielen anderen. Sie ist nichts als eine der Idee der Freiheit widrige Sekte ziemlich mächtigen Kalibers. Dass wenigstens in unseren Gegenden der Klerus keine echte weltliche Macht mehr hat, allenfalls einen starken Zipfel noch hält, nicht mehr das ganze Tuch, ist gut. Ich meine das nicht ironisch - denn ist ja wahr: Das, was der Papst so erzählt, aktuell in Afrika, sein Vorgänger auf zahllosen Reisen in fast alle Welt, behauptet, versehen mit dem Gestus der Barmherzigkeit und drapiert mit der Maske jesuanischer Liebe, ist menschenfeindliche Propaganda. Der bayerische Papst lächelt und meint, er verkünde eine frohe Botschaft, aber sein Ton signalisiert Zucht und Entwertung, Hass auf das Leben und Lust auf diesseitige Tyrannei. Zu sagen, dass Kondome das Aidsproblem in Afrika - und anderswo - verschleiern, denn ein Ja zum Präser sei bereits eines zum Sexuellen überhaupt, lässt einem fast die Worte fehlen: Das ist, menschliche Lust an der Lust realistisch verstanden, eine Einladung zur Infektion, und zwar zu einer in Afrika weitgehend tödlichen.

Hätten Katholen die Macht, könnten sie also, wie sie wollten, wäre es um alle Freiheit geschehen. Das ist ungefähr der gleiche Befund, den ein sozialdemokratisches Mitglied des Familienausschusses neulich mitteilte: Es gäbe in der Union genügend Kader christlicher Amtskirchen, die, hätten sie das gesetzliche Vermögen, sofort Scheidungen verbieten würden, Abtreibungen wieder zu einem gefährlichen Akt bei "Engelmacherinnen" (wie es einst mal hieß) degradieren oder sie gleich unter drakonische Strafe stellen würden, Homosexuelle kriminalisieren und die Kinderproduktion auf vormoderne Quoten trieben. Was der Papst an moralischer Botschaft verkündet, sagt nichts über die Liebe, sondern alles über antifreiheitliche Vorstellungen vom Zusammenleben.

Ich habe all die Priester in den Puffs, in Chatrooms, in Fickräumen satt - sie lieben das Schalten und Walten in solchen Arenen und verkünden, voller Selbsthass und Abscheu vor dem Leben generell, Enthaltsamkeit, Sittlichkeit und Sex nur um den Preis der Nachwuchsproduktion - und halten sich selbst nicht daran. Katholische Kader stiften Unheil.

Europa hat es immerhin geschafft, dass deren Politikbegehren nicht mehr unbesehen verwirklicht werden können. Dass es hier Kondome zu kaufen gibt, dass es eine überwältigende Majorität für sittliche Vorstellungen gibt, die Sexuelles für grundsätzlich gut halten - und sich von feistbackigen Popen eher abgestoßen fühlen. Man weiß hier: Sie predigen Wasser, trinken Wein, und die Öffentlichkeit muss sich dieser Logik zufolge um so abstoßende Dinge wie die Folgen religiösen wie konkret fleischlichen Kindesmissbrauchs kümmern.

Das Tückische an der Botschaft, die der Klerus als christlich verkauft, ist ja, dass sie als Liebe begriffen werden soll. Und viele aus unseren Kreisen meinen: Die kümmern sich um Arme. Alles Lüge. Sie wollen sie nur streicheln, herzen, aufs Jenseits vertrösten. Das ist unnötig, eine solche Gerechtigkeit will ich nicht. Die soll auf Erden kommen, nicht bei jenem, den die Katholen für ihren Gott halten. Der ist nämlich auf Erden egal. Alles bei denen riecht nach Angst, Bangemachen und Missbrauch. Schrecklich, diese Anbetung irdischer Institutionen!

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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