Debatte Emanzipation in Italien: Auf ein Neues

Die Emanzipation in Italien ist komplett auf den Hund gekommen. Schuld daran ist vor allem der Zusammenbruch des Parteiensystems in den 90er Jahren.

Warum fand der Monopolismus eines Berlusconi einen Nährboden in der italienischen Gesellschaft? Bild: reuters

Der Anlass für unsere Wortmeldung ist die trübe Mischung von Sex und Politik in Italien. Wie konnte es passieren, dass sich in den Medien und in der Unterhaltungsindustrie eine Darstellung von Weiblichkeit durchgesetzt hat, die grundlegend respektlos ist und ganz bewusst den Beitrag von Frauen an der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der italienischen Gesellschaft leugnet?

Gewiss: Der Verfall der öffentlichen und institutionellen Moral, die mit der totalen Kommerzialisierung des weiblichen Körpers einhergeht, konnte nur unter der Ägide eines Ministerpräsidenten stattfinden, der dem Land seine Vorstellungen von Frauen, vom Leben und der Politik mithilfe einer einzigartigen Monopolstellung in Wirtschaft, Politik und Medien aufzwingt. Die entscheidende Frage aber ist: Warum fand dieser Monopolismus einen Nährboden in unserer Gesellschaft? Italien hat nicht einfach nur einen Schritt zurück gemacht hat und die Frauen sind auch nicht nur einfach Opfer eines patriarchalen Backlash. Die Lage ist komplizierter.

Berlusconi ist nicht alles

Wir sind überzeugt davon, dass der Feminismus unsere Gesellschaft tief geprägt hat. Allerdings kratzt dieses neue Bewusstsein der Frauen nicht an den realen Machtverhältnissen. Die mediale und politische Kontrolle der weiblichen Existenz liegt noch immer in männlichen Händen. Die eindrucksvolle Befreiungsbewegung der 60er und 70er Jahre hat den italienischen Frauen weitreichende Möglichkeiten der Teilhabe eröffnet; aber der Griff nach der konkreten politischen Entscheidungsmacht blieb aus.

Drei Daten genügen, um die Widersprüchlichkeit der italienischen Situation aufzuzeigen: In Italien lag die weibliche Beschäftigungsquote 2009 bei 46,8 Prozent, im EU-Durchschnitt bei 58,6 Prozent. An den Unis waren 57,2 Prozent Frauen eingeschrieben, im EU-Durchschnitt 55,2 Prozent. In Europa stieg das Bruttosozialprodukt 2008 um 0,3 Prozent, in Italien sank es um 2,1 Prozent. Italienische Frauen sind also überdurchschnittlich gut ausgebildet, aber ihre Beschäftigungssituation entspricht der eines zurückgebliebenen Landes.

"Di Nuovo" (Von Neuem) ist der Name einer Gruppe von italienischen Feministinnen vor allem aus dem Theater-/Filmbereich, die das hier in Auszügen veröffentliche Manifest im Juli dieses Jahres publizierten. Federführend war dabei die 1956 in Rom geborene Schriftstellerin und Regisseurin Cristina Comencini. Ihr Roman "Lillusione del bene" - eine Bilanz der kommunistischen Bewegung in Italien und Europa - erschien 2007 bei Feltrinelli.

Was hat uns so ruiniert?

Warum hat sich in anderen europäischen Ländern in den 70er und 80er Jahren die politischen Klasse zumindest in Teilen für Fragen der Gleichberechtigung geöffnet? Warum gibt es dort eine Frauenförderung mithilfe von Quoten und Gesetzen, die eine Diskriminierung unter Strafe stellen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern - während wir hier noch immer nur darüber reden?

Ein Grund dafür ist der Zusammenbruch des italienischen Parteiensystems Anfang der 90er Jahre. Dieser führte zu einer in Europa einzigartigen neokonservativen Offensive der traditionell frauenfeindlichen italienischen Rechten. Doch auch die Verantwortung der Linken ist groß. Sie hat nie begriffen, wie wichtig eine starke und breit gefächerte weibliche Präsenz in den Macht- und Repräsentationszentren ist; ebenso wie sie bis heute nicht verstanden hat, dass der Ausschluss von Frauen ein Grund für ihre fortdauernde politische Hilflosigkeit ist.

Und schließlich haben die dominanten Strömungen der Frauenbewegung selbst viel zum Erfolg der Neokonservativen beigetragen. Ein gegenüber allen Institutionen skeptischer Individualismus, ob nun links- oder rechtsliberaler Prägung, hat jeden Versuch zunichtegemacht, sich organisiert gegen die mangelnde weibliche Repräsentation in der Gesellschaft zu wehren. Und wurde dieser Mangel doch angegangen, dann scharten sich die Frauen um charismatische Führerpersönlichkeiten, anstatt mühsam und demokratisch eine eigene, weibliche Führungselite zu fördern. Die Frauen, die heute in Machtpositionen sind, haben keine "organische" Verbindung zu den Frauenbewegungen. Somit verfügen sie über keine autonome politische Basis.

Das Elend der Männer

Hinzu kommt, dass eine zentrale kulturelle Errungenschaft des italienischen Feminismus zu verschwinden droht: die Idee, dass die Geschlechter gleichwertig und doch verschieden sind. Gleichberechtigung durchzusetzen bedeutete hier eben keineswegs, wie Männer werden zu wollen. Frausein wurde nicht als Unglück begriffen, sondern im Gegenteil als Ausdruck der menschlichen Vielfalt.

Uns wird nichts anderes übrig bleiben, als die Fragen, die der "klassische" Feminismus unerledigt liegen ließ, erneut ins Zentrum der Debatte zu stellen. Wir wollen nicht länger unsere Rechte einklagen, sondern konkret politische Macht und Verantwortung ausüben: Wir befinden uns im Postfeminismus. Gerade deswegen müssen wir auf beide Geschlechter reflektieren. Das Elend der Männer bedeutet nicht automatisch die Erstarkung der Frauen.

Das Verhältnis der Geschlechter ist kein Nullsummenspiel. Wir brauchen eine breite Debatte darüber, wie wir die Freiheit der Medien und Freiheit in den Medien definieren. Zudem sollten wir die Erfahrung des weiblichen Körpers auch als das Erfahren von Grenzen begreifen, das ein Bewusstsein für Grenzen generell ermöglicht, ein Bewusstsein vom Anti-Narzissmus, also des Hervorgebrachtseins und Hervorbringenkönnens. Eine Freiheit, der dieses Wissen eingeschrieben ist, das ist die Freiheit, die wir uns wünschen - und die wir extrem vermissen.

Aus dem Italienischen übertragen von Ambros Waibel

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