Kommentar Schutz von Vergewaltigten: Befreiung von der Scham

Viele behaupten, das Kachelmann-Urteil entmutige Opfer von Vergewaltigung. Das ist falsch: Es geht vielmehr darum, den Opfern aus der Scham-Falle zu helfen.

"Recht ist in einer Demokratie nicht immer Gerechtigkeit. Wir müssen damit leben können, dass wir nicht immer mit der nötigen Sicherheit die Wahrheit finden", das sagte Alice Schwarzer unmittelbar nach der Verkündung des Kachelmann-Urteils. "Aber das Problem ist, was mir in diesem Prozess klar geworden ist, dass das deutsche Rechtssystem stark täterorientiert ist."

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hingegen sah mit dem Freispruch für den angeklagten Wettermoderator das "Vertrauen in die Unabhängigkeit der deutschen Justiz" gestärkt. Und nur um Letzteres konnte es gehen.

Zur Erinnerung: Es ging in diesem Prozess weder um eine auf Opfer womöglich abschreckende Signalwirkung des Urteils, wie die Frauenrechtsorganisation Terre des femmes und andere befürchten. Genauso wenig ging es darum, anhand eines Schuldspruchs zu beweisen, wie hart ein Vergewaltiger in unserem System bestraft wird.

Es ging allein um die Frage, ob es nachweisbar ist, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Vergewaltiger handelt. Aus Mangel an Beweisen wurde er freigesprochen. Aus diesem Urteilsspruch werden nun negative Folgen für Opfer abgeleitet. Das jedoch legt ganz andere Schwächen im Umgang mit denselben frei.

Zweifelsohne müssen Opfer sexueller Gewalt gestärkt werden. Und selbstverständlich sind Frauen darüber aufzuklären, wie sie sich nach einer Vergewaltigung am besten verhalten. Das Mittel, das für die Opfer die entscheidende Wendung bedeuten würde, ist die Befreiung von der Scham.

Es gibt viele Beispiele von Frauen, die nach einer Vergewaltigung erst duschen und dann zu Polizei gehen. Oder die lieber schweigen, als sich einem Prozess auszusetzen. Die Scham aus den Köpfen der Frauen zu kriegen, würde mehr zur Stärkung der Opfer beitragen, als es eine Verurteilung Kachelmanns vermocht hätte.

Nun lässt sich einwenden, das eine hinge mit dem anderen eng zusammen: Wäre Kachelmann verurteilt worden, sähen sich Vergewaltigungsopfer gestärkt. Das ist eine absurde Verknüpfung. Solange man ihm die Tat nicht nachweisen kann, wird niemand gestärkt oder geschwächt – höchstens jemand zu Unrecht verurteilt.

Wie Alice Schwarzer fast scharfsinnig bemerkt hat: Der Rechtsstaat schützt auch den Täter. Dies gilt für andere Kontexte wie etwa die Sicherheitsverwahrung. In diesem Fall schützt der Staat den Angeklagten vor einer Vorverurteilung. Zu Recht, denn Vergewaltigung bleibt ein schwer nachweisbares Delikt.

Umso wichtiger ist es, Frauen aufzuklären, wie sie im Falle einer Vergewaltigung vorgehen sollen. Im Feministen-Vorzeigeland Schweden hat sich seit 1975 aufgrund einer neuen Rechtslage die Zahl der Klägerinnen verachtfacht, die Zahl der verurteilten Delinquenten im selben Zeitraum jedoch nur verdoppelt. Aus dem Recht, das sich in den Köpfen der Frauen festgesetzt hat, leitet sich noch keine Garantie für einen Schuldspruch ab. Doch es verhilft den Frauen zu einem selbstbewussteren Auftreten.

Es ist eher ein Zeichen der Schwäche des deutschen Feminismus, die Stärkung der Opfer von Sexualdelikten von einem einzelnen Fall abhängig machen zu wollen. Eine Vergewaltigung muss behandelt werden wie jede andere Straftat.

Der Freispruch für Kachelmann scheint zum jetzigen Zeitpunkt das einzig legitimierbare Urteil. Ein Schuldspruch wäre in Anbetracht der Beweislage sogar von Nachteil für Vergewaltigungsopfer gewesen: Sie hätten mit dem Vorwurf zu kämpfen, Frauen bekämen in solchen Fällen immer recht.

Trotz allem heißt es nun seitens Frauenrechtsorganisationen: Die ohnehin rückläufige Zahl von Frauen, die eine Vergewaltigung vor Gericht bringen, werde noch weiter sinken. Sollte man also die Prinzipien unseres Rechtsstaats infrage stellen, um dies zu vermeiden?

Nein, um dies zu vermeiden, sollte man Frauen in ihrem Selbstbewusstsein stärken – auch in ihrem Selbstbewusstsein als Opfer. Opfer sind Opfer und keine Träger von Schuld oder Scham. Diese Verknüpfung aufzulösen würde mehr bewirken, als an einem bis dahin eher als B-Promi bekannten Moderator ein Exempel zu statuieren.

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