Kommentar Hartz IV: Bloß keine Kosten!

Erst ein intaktes Bildungssystem und bezahlbare öffentliche Dienstleistungen sichern die Teilhabe auch armer Menschen an der Gesellschaft.

Es kommt, wie es kommen musste: Nach einer Schrecksekunde diskutiert die Regierung nun, ob die Hartz-Regelsätze nach dem Urteil des Verfassungsgerichts statt angehoben nicht sogar gesenkt werden müssten. Ein Sozialpolitiker der CSU argumentiert, die Staatsausgaben dürften keinesfalls steigen. Und der FDP-Generalsekretär will Anreize vermeiden, "dass man übers Kinderkriegen Geld verdienen kann".

Auch wenn es sich hier bisher um Einzelmeinungen handelt, offenbart sich in ihnen doch ein bemerkenswerter Zynismus. Da bescheinigt das höchste Gericht dem Staat ein Versagen, das die Existenz von fast sieben Millionen BürgerInnen berührt. Und keine 24 Stunden später geben die ersten Koalitionäre schon den Tenor vor: Gut, dann kürzen wir eben. Immerhin die Arbeitsministerin äußert sich differenzierter, indem sie bessere Bildungschancen für Hartz-IV-Kinder zum drängendsten Problem erklärt.

Mit dieser unverbindlichen Äußerung hat Ursula von der Leyen sicher Recht: Nur der freie, gleichberechtigte Zugang zu Bildung eröffnet auch Kindern aus armen Familien eine Aufstiegschance. Aber eine Politik, die den Eltern lediglich ein paar Euro mehr als bisher in die Familienkasse wirft, reicht dafür nicht aus. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass auch arme Familien ihren Kindern die Schulbücher kaufen können. Von einer Regierung, die es mit gleichen Bildungschancen für alle wirklich ernst meint, erwartet man jedoch mehr: etwa mutige Investitionen in Kitas, Schulen und Universitäten. Denn erst ein intaktes Bildungssystem und bezahlbare öffentliche Dienstleistungen sichern die Teilhabe auch armer Menschen an der Gesellschaft.

Es wäre allerdings fatal, steigende Sozialausgaben gegen Bildungsinvestitionen auszuspielen. Der Staat muss armen Menschen eine würdige Existenz garantieren, ebenso muss er die Infrastruktur bereitstellen. Auf Geschenke für Hoteliers kann er dafür gerne verzichten.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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