Pro und Contra Satire: Darf der Priester Jesus missbrauchen?

Als die Missbrauchsfälle im katholischen Klerus bekannt wurden, thematisierte das auch das Satiremagazin "Titanic" mit einer versteckt obszönen Karikatur. Darf man Jesus so darstellen?

Dieser Titel des Satire-Magazins "Titanic" provozierte mehr als 100 Beschwerden beim Presserat. Bild: screenshot/www.titanic-magazin.de

PRO

Ich bin Katholikin. Wohl die letzte in meiner Familie, aber immerhin. Und ja: Satire darf. Satire muss. Muss an die Grenzen gehen, überspitzen, aufzeigen, was andere nicht wagen. Wie im Fall des aktuellen Titels des Satiremagazins Titanic: Man sieht einen Priester von hinten, der auf der Höhe des Unterkörpers vor dem gekreuzigten Jesus steht. Mehr ist nicht zu sehen.

Und doch hat diese Darstellung zu hunderten Beschwerden beim Presserat und zu Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft geführt. Mit Berufung auf Ziffer 10 des Pressekodex: "Die Presse verzichtet darauf, religiöse […] Überzeugungen zu schmähen." Ich erkenne oder empfinde keine Verletzung meiner religiösen Gefühle, ich sehe lediglich einen Priester vor der lebhaften Darstellung einer Folterszene.

Genau das ist der Punkt: Basierend auf der Berichterstattung der letzten Wochen zum sexuellen Missbrauch in der Kirche und all den Einzelfällen, die jetzt bekannt wurden, kann ich dieses Bild vollenden. Was ich sehe, ist die Darstellung des Missbrauchs der Kirche durch ihre Vertreter: das heuchlerische, heischerische, um Verzeihung bittende - aber nicht Schuld eingestehende - Verhalten der Repräsentanten der Kirche in Bezug auf all den Machtmissbrauch der vielen Jahre, der endlich öffentlich diskutiert wird. Die Reaktionen der entrüsteten Anrufer bei Titanic und Aufrufer zum modernen Kreuzzug (etwa "Wider die feigen Gotteslästerer" auf der Website Katholischer Nachrichtendienst) zeigen: Selbsterkenntnis tut weh und hin- mehr als wegschauen.

Mit der arroganten Haltung, die jahrzehntelangen Übergriffe und körperliche Züchtigungen von Kindern durch ihre eigenen Mitglieder geduldet und gedeckt zu haben, hat ein Teil der Kirche die christlichen Werte verraten. Und genau das sehe ich auf dem Titanic-Cover. Meine Fantasie interpretiert einen sexuellen Übergriff auf einen Wehrlosen - da am Kreuz Hängenden - in einem dunklen Eck eines Kirchengebäudes. Niemand sieht es, niemand hört es. Und falls doch, habe ich die Befürchtung, der Priester wird nur in eine andere Gemeinde versetzt.

Der Sturm der Entrüstung sollte sich gegen diese Vorgehensweise richten. Die Kreuzritter sollten nicht für die "kranken Köpfe" von Titanic beten, sondern für eine weltoffene, ehrliche und selbstkritische Kirche. Hinschauen tut weh. Schauen Sie hin.

Julia Herrnböck ist Praktikantin im Ressort taz Zwei/Medien.

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CONTRA

Als leichtgläubiger Christ bin ich nicht leicht zu entsetzen und war doch - entsetzt, mehr noch, getroffen bis ins rosagraue Knochenmark meines Katholizismus, als ich im Zeitschriftenregal an der Kasse des Supermarkts bei mir um die Ecke das aktuelle Titelbild der Titanic gewahrte.

Auf den ersten Blick zeigt dieses Titelbild nichts, was ich als Gläubiger nicht kennen und akzeptieren würde. In den zwei oder drei Sekunden, bevor mich die Empörung endgültig übermannte, grübelte ich allerdings über den Gottesmann, der vor dem Kreuz zu knien scheint. Was tut er da? Hängt er es gerade? Und was irritierte mich so an seiner Mütze? Was stellte sie dar? Eine Tiara? Ein Camauro? Eine Mitra? Ein Scheitelkäppchen? Oder … tja, und genau hier war es mit meiner wohlwollenden Betrachtung vorbei. Mit meiner Toleranz auch. Mit zitternden Fingern, errötend und innerlich kochend, stellte ich das Heft unter den kritischen Seitenblicken der anderen Kunden wieder zurück ins Regal.

Ich halte mich für einen humorvollen Menschen, immer für ein Späßchen zu haben. Etwa für den Spruch: "Paulus schrieb an die Irokesen: Euch schreib ich nicht, lernt erst mal lesen!" Frech? Klar, aber doch auch pfiffig, oder? Aber um dieses perfide Bild wirklich verstehen zu können, hätte ich, um es in meinem Kopf vollenden zu können, um die fürchterlichen Geschichten ergänzen müssen, die neuerdings in den Zeitungen über die Kirche zu lesen sind. Schmutz, Schmutz, Schmutz, aufgewirbelt von öffentlichkeitssüchtigen Einzeltätern. Natürlich gibt es Probleme in meiner Kirche, in der es aber auch eine Kultur des Vergebens gibt. Wenn überhaupt, möchte ich darauf also mit weichen Worten aufmerksam gemacht werden. Nicht von gewissenlosen Schmierfinken, die mit Obszönitäten ihre Auflage steigern wollen!

Warum zeigt die Titanic denn keinen Mohammed, der von einem Imam verwöhnt wird? Vielleicht, weil es dafür einfach keinen Grund gäbe. Aber sicher auch, weil sie sich einfach nicht traut, die feine Titanic!

Es macht mich traurig, dass meine religiösen Gefühle als Christ ungestraft verletzt werden können. Von der Titanic, meine ich jetzt. Gott lässt seiner nicht spotten. Also lasst uns für die verlorenen Seelen beten: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!"

Arno Frank ist Redakteur im Ressort taz Zwei/Medien.

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