Debatte Gelb-Grün: Das Jahr der neuen Koalitionen

Gelb-Grün ist zu einer reellen Option geworden. Lassen die Parteien einander Raum zur jeweiligen Profilierung, könnten sie in Sachen Umwelt und Bürgerrechte viel bewegen.

Falls aus einer Neuauflage der schwarz-roten Koalition nichts wird, schlägt im Herbst 2009 die große Stunde von Grünen und FDP. Sie würde in diesem Fall gebraucht für eine Koalition mit der Union oder der SPD. Die beiden Kleinen haben damit die Wahl: Entweder lassen sie sich vom größten Partner des Dreierbunds gegeneinander ausspielen. Oder sie gehen taktische Bündnisse mit dem bislang ungeliebten Koalitionär ein, um ihre jeweiligen Kernanliegen gegen die Möchtegern-Volkspartei durchzusetzen.

Solch ein Pakt zu gegenseitigem Nutzen ist weit realistischer, als es zunächst klingen mag. Denn: Die Bürger sind pragmatischer als noch vor zehn Jahren, die Parteien ebenso, und auf das Machtstreben in beiden Lagern ist weiterhin Verlass. Beide Seiten müssen ihren Anhängern nach den kargen Oppositionsjahren handfeste Erfolge präsentieren. Gleichzeitig sind Grüne und FDP klug genug zu wissen, dass Demütigungen des Koalitionspartners die Koalition gefährden - und damit ihre eigene Regierungsbeteiligung.

Trotzdem haben Grüne und Liberale Anliegen, von denen sie nicht abgehen können, wollen sie ihr Überleben nicht gefährden. Sie müssen sich daher auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren, um für ihre Anhänger erkennbar zu bleiben. Das klappt nur, wenn die Parteien einander diesen Raum zur Profilierung zugestehen - und nicht darauf bestehen, die gesamte politische Themenpalette abzudecken.

Die FDP etwa muss ihrem über Jahrzehnte vorgetragenen Anliegen, die Steuern müssten sinken, Taten folgen lassen können. Das Mantra "Mehr Netto vom Brutto" hat - zum Entsetzen der Liberalen - die CSU bereits gekapert. Das kann sich Parteichef Guido Westerwelle auf Dauer nicht gefallen lassen.

Die Grünen wiederum haben mit den Folgen ihres eigenen Erfolgs zu kämpfen: Klimaschutz ist seit langem nicht mehr ihr Alleinstellungsmerkmal. Insofern sind Grüne - wie Liberale - gezwungen, ihre ureigenen Themen glaubhaft zu vertreten. Und das bedeutet, dass sie sich nicht auf wehleidiges "Das haben wir schon immer gesagt!" beschränken, sondern für noch ehrgeizigere Ziele beim Klima- und Umweltschutz werben müssen.

Natürlich werden beide Parteien bis zur Wahl jedes Wort scheuen, das ihnen als Flirt mit dem ideologischen Schmuddelkind von gegenüber ausgelegt werden könnte. Doch abseits der vorgefertigten Presseverlautbarungen verstehen sich Fachpolitiker beider Seiten längst hervorragend. Beim Thema Haushaltskonsolidierung beispielsweise vertreten FDP und Grüne weit rigidere Ziele als CDU und SPD. Und seit die FDP ihre bereits für erloschen gehaltene Liebe zu den Bürgerrechten wieder entdeckt hat, könnten beide Parteien gemeinsam Verschärfungen von Sicherheitsgesetzen blockieren. Weitgehend einig sind sich beide auch in anderen Punkten: Die Wehrpflicht gehöre abgeschafft. Einwanderung müsse leichter werden. Und gleichgeschlechtliche Partnerschaften bräuchten mehr gesetzlich verbriefte Rechte, etwa bei Adoptionen.

Auch die zentralen Ziele beider Seiten schließen einander längst nicht mehr aus. Als Steuersenkungen, so sagen FDP-Parlamentarier, ließen sich höhere Freibeträge beispielsweise für Familien verkaufen. Das dadurch frei werdende Geld könnten die Eltern auch in die Bildung ihrer Kinder investieren. Förderung von Familien und Schulbildung sind wieder urgrüne Themen. Beide Seiten könnten so ihr Gesicht wahren. Ganz einfach wird es natürlich nicht werden.

Bei der Bildungspolitik beispielsweise klafft eine große Lücke zwischen dem Wunsch der Liberalen nach mehr staatlicher Förderung für Privatschulen und den Befürwortern der Gemeinschaftsschule bei den Grünen. Doch in solchen Konfliktfällen könnten die Kleinen auf die weitgehende Zuständigkeit der Bundesländer in Bildungsfragen verweisen und damit diesen Zwist wegdelegieren.

Mehr als die konkreten politischen Positionen beider Seiten steht etwas anderes zwischen ihnen: ihr über Jahrzehnte gewachsenes Selbstverständnis. Mitglieder und Anhänger der FDP verstehen sich voller Stolz als Bürger. Ihre Anhänger sind vorwiegend Männer, Selbstständige und Bewohner ländlicher Gebiete. Hingegen zählt zu den vielen bis heute wirkmächtigen Gründungsmotiven der Grünen der Wunsch, einem als verlogen empfundenen Bürgerlichkeitsverständnis etwas Neues entgegenzusetzen. Dieses Selbstbild haben auch sieben Jahre Regierungsbeteiligung nicht ganz auflösen können, ebenso wenig der hohe Anteil kirchlich Engagierter und Akademiker unter ihren Wählern. Bis heute wählen besonders viele Frauen, Großstädter und Hochschulabsolventen die Grünen.

Der Wechsel der FDP von einer Koalition mit der SPD hin zur Kohl-CDU im Jahr 1982 hat diesen Graben noch vertieft. Eine ganze Generation politisch Interessierter ist den Gelben in den 80er-Jahren durch den Makel der "Umfallerpartei" abhanden gekommen. An den Spätfolgen krankt die Partei bis heute.

Nun aber wachsen jüngere Politiker nach, denen diese ideologischen Grabenkämpfe fremd sind. Der Vorsitzende der Jungen Liberalen, der 26 Jahre alte Johannes Vogel, engagierte sich vor seinem Aufstieg beim FDP-Nachwuchs bei der Grünen Jugend. Der Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag, der 35 Jahre alte Philipp Rösler, hat bereits vor der Bankenkrise Westerwelles "ordoliberalen Kurs" offen kritisiert.

Auch viele junge Grüne haben sich des Gefühls entledigt, von den Liberalen trenne sie ein unüberbrückbarer Graben. Wie ihre Altersgenossen von der FDP wuchsen sie in einer weniger ideologisch aufgeladenen Zeit auf. Dies befördert im schlechtesten Fall Gleichgültigkeit, im besten Fall jedoch stärkt diese Erfahrung die Fähigkeit zur Toleranz gegenüber anderen Haltungen und dem Finden kluger Kompromisse.

Dennoch: Es werden bei aller gewachsenen Nähe große Differenzen zwischen FDP und Grünen bleiben, etwa beim Thema Atomkraft. Aber eine gemeinsame Regierungsbeteiligung muss daran nicht scheitern. Guido Westerwelle und seine Getreuen sehnen sich nach elf Jahren Opposition nach Ministerämtern. Sie wissen sehr gut, dass sie einen Ausstieg aus dem Ausstieg mit dem Zerbrechen der Koalition bezahlen müssten. Auch die Führung der Grünen wird alles tun, um unter Beweis zu stellen, dass sie nicht an die Entwicklung der schlingernden SPD gekettet ist, um mitregieren zu können.

Ein Bündnis von Grünen und FDP kann also, den Willen beider Seiten vorausgesetzt, zur Emanzipation von Minderheiten ebenso beitragen wie zu klügeren Klimaschutzmaßnahmen und zur Bildungsförderung. Die sogenannten Volksparteien sind hierfür zu träge, weil sie viele parteiinterne Strömungen einbinden müssen. Ein strategisches Bündnis der einstigen Lieblingsfeinde kann - wie jedes Experiment - schiefgehen. Aber wenn die Alternative eine Verlängerung der quälend ängstlichen CDU/SPD-Koalition ist, ist es das Risiko eines Scheiterns alle Mal wert.

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Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

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