Debatte Wirtschaftskrise: Das Schweigen der Ökonomen

Auf die Krise finden Marktliberale keine Antwort, die mit ihrem Weltbild vereinbar wäre. Ihre Wirtschaftstheorie entpuppt sich als Fiktion. Doch jetzt ist Pragmatismus angesagt.

Monatelang schien das Wort "Konjunkturprogramm" bei der Bundesregierung auf einer schwarzen Liste zu stehen. Ihr Zaudern und die bislang halbherzigen Impulse für eine konjunkturpolitische Intervention zeigen, dass sie vor aktiver Konjunkturpolitik zurückschreckt. Das liegt nicht zuletzt an der Zunft der Volkswirte, die sie berät. Ihre Wortführer haben der Öffentlichkeit jahrelang gepredigt, Wachstum lasse sich nur sichern, wenn sich der Staat aus der Wirtschaft heraushält, wenn Sozialleistungen gekürzt, Arbeitsmärkte dereguliert und Unternehmen entlastet werden. Doch um diese Marktliberalen ist es im Zeichen der globalen Krise merkwürdig still geworden.

Ihr Problem ist, dass sie gegen den weltweiten wirtschaftlichen Einbruch keine praktikablen Rezepte haben, die mit ihrer Weltsicht vereinbar sind. Für den Moment können sie nur mit leeren Beteuerungen dienen. "Irgendwann wird die Krise zu Ende sein. Wir wissen nur nicht, wann und wie", verkündet gerade der "Wirtschaftsweise" der Bundesregierung, Wolfgang Franz landauf, landab in den Medien.

Als Stichwortgeber der Bundesregierung zeigt sich der deutsche Ökonomenmainstream unbelehrbar. Er steckt in einer ideologischen Krise, wenn es um die staatliche Stützung der Konjunkturentwicklung geht. Schon dass die Bundesregierung jetzt nach langem Zögern nun doch dem globalen Trend zur aktiven Konjunkturpolitik folgt, ist in ihren Augen ein Sakrileg. Mangels Alternative hüllen sie sich jedoch in Schweigen - oder sie warnen, wie Franz, weiter vor staatlichen Eingriffen und "kurzfristigen Strohfeuern".

Die Ratlosigkeit des Wirtschaftsweisen hat System. Denn Franz und seine neoklassisch geprägten Kollegen sind in ihrem eigenen Gedankengebäude gefangen. Es ist die von der Wirklichkeit eigentümlich abgekoppelte Welt der neoklassischen Wirtschaftslehre, die in Deutschland seit Jahren den ökonomischen Mainstream dominiert. Sie versucht, die realen Vorgänge einer Volkswirtschaft in einem höchst abstrakten und reduzierten Wirtschaftsmodell zu fassen. Das Ergebnis mag durch die Eleganz mathematisch-formaler Geschlossenheit glänzen. Es leidet aber darunter, dass es fundamentale Faktoren der wirtschaftlichen Realität systematisch ausblendet. Das ursprüngliche Ziel, reales ökonomisches Handeln von Menschen abzubilden, bleibt da fast zwangsläufig auf der Strecke. Zugleich ist dieses Paradigma so ausgelegt, dass entscheidende wirtschaftspolitische Fragen wie etwa die nach einer gesellschaftlich optimalen Verteilung nicht beantwortet werden können.

Dieses Modell nimmt für sich in Anspruch, "wertfrei" und gesellschaftspolitisch neutral zu sein - es will lediglich erklären, auf welche Weise knappe Ressourcen möglichst effizient verwendet werden können. Doch die Wirtschaft der Neoklassik ist eine Welt, in der alle Pläne der Wirtschaftssubjekte bekannt sind und in der es keine Unsicherheit über die Zukunft gibt. Das entspricht letztlich keiner realen Marktform mehr und blendet jede Form sozialer Wirklichkeit und menschlicher Handlungen aus. Erwartungen der Marktteilnehmer, die den wirtschaftlichen Verlauf beeinflussen können, gibt es nicht. In dieser perfekten Welt der "vollständigen Konkurrenz" ist die Marktwirtschaft umso stabiler, je freier man sie agieren lässt.

Das ist auch der Grund, warum Neoklassiker staatliche Eingriffe pauschal als Tabubruch werten, weil diese in ihrem Weltbild die Marktentwicklungen verfälschen oder verzögern. Der Ökonom Eberhard Feess-Dörr beschreibt diese Methodik mit den Worten: "Neoklassische Theorie unterstellt bewusst kontrafaktische Annahmen, um zu einem politisch gewünschten Resultat zu kommen: dem Nachweis der Optimalität einer unregulierten Marktwirtschaft."

Als Wirtschaftstheorie ist die Neoklassik ein Musterbeispiel dafür, dass auch Laien jeder ökonomischen Lehre mit Skepsis begegnen sollten, die mit absolutistischen Ratschlägen operiert und gesellschaftliche Realität ausblendet. Man sollte nicht übersehen, welches Gesellschaftsbild mit einer ökonomischen Theorie implizit verbunden ist. Denn die Geschichte der Ökonomie ist voll von Beispielen, in denen sich vermeintlich unabhängige Wissenschaftler als intellektuelle Schönredner ihrer jeweils herrschenden Klasse gerieren und ihre "Wirtschaftstheorien" nicht mehr als eine Rechtfertigung der herrschenden Verhältnisse waren. So räumten schon die französischen "Physiokraten" in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Feudalherren ihrer Zeit in ihrer ökonomischen Theorie eine unverzichtbare Rolle als classe distributive ein. Auch der englische Philosoph Edmund Burke wies der "herrschenden Schicht" in seiner Gesellschaftstheorie eine zentrale Rolle zu, weil sie "durch die Weisheit ihrer politischen Machtausübung das allgemeine Wohl" fördere.

Die historische und gesellschaftliche Funktion der Neoklassik geht daher im Kern nicht über eine Rechtfertigung des Kapitalismus hinaus. Doch die buchstabengetreue Auslegung dieser Theorie erwies sich schon einmal als tragisch. Bereits während der ersten Weltwirtschaftskrise von 1929 mussten ihre Wortführer den intellektuellen Offenbarungseid leisten: Keines ihrer Modelle konnte damals befriedigend erklären, was da eigentlich vor sich ging oder wie sich der Wirtschaftskollaps stoppen ließe.

Es bedurfte des intellektuellen Urknalls durch den britischen Ökonomen John Maynard Keynes, der 1936 als erster etablierter Ökonom plausibel darlegte, wieso ein marktwirtschaftliches System keineswegs von selbst einen Gleichgewichtszustand anstrebt. Und er erklärte, wieso der Staat gerade in Krisenzeiten eine aktive Rolle übernehmen muss, wenn ein wirtschaftlicher Abschwung nicht in einer Katastrophe enden soll. Keynes wurde mit seinen Erkenntnissen zum Galileo der Nationalökonomie. Wirtschaftspolitik, die dennoch am engen Korsett der neoklassischen Schule festhält, wirkt heute wie der Versuch, Physik auf der Grundlage, die Erde sei eine Scheibe, zu betreiben.

Überlebt hat das neoklassische Denken dennoch. Doch jetzt ist wirtschaftspolitischer Pragmatismus angesagt. Die Bundesregierung muss sich aus ihrer weltanschaulichen Zwangsjacke der Neoklassik befreien und dem internationalen Commonsense der Ökonomie anschließen. Es ist daher ein ermutigendes Signal, wenn Merkel & Co nun offenbar ein Konjunkturpaket auf den Weg bringen wollen, das diesen Namen verdient. Einen Effekt dürfte es aber nur haben, wenn es tatsächlich, wie zurzeit diskutiert, 40 Milliarden Euro zusätzlich für öffentliche Investitionen bereitstellt und nicht, wie im Fall des ersten "Konjunkturpaketes", überwiegend aus Luftbuchungen besteht. Selbst dann sollte sich niemand Wunder, sondern vor allem Schadensbegrenzung von diesen Maßnahmen erhoffen. Aber andere Alternativen, der um sich greifenden Wirtschaftskrise etwas entgegenzusetzen, sind nicht in Sicht.

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