Kommentar Online-Durchsuchung: Das Verfassungsgericht geht zu weit

In der Sache bekommt Innenminister Schäuble vom Verfassungsgericht, was er wollte. Doch nicht alles, was verfassungsrechtlich möglich ist, muss man umsetzen.

Das neue Grundrecht ist hübsch und wird dem modernen Menschen gerecht. Das Recht auf den unangetasteten Computer passt gut zu uns Menschmaschinen, die wir nicht mehr ohne Laptop das Haus verlassen und unsere Computerfestplatte als integrierten Teil unserer Persönlichkeit betrachten.

Aber natürlich wird es auch Eingriffe in das neue Grundrecht geben. Karlsruhe hat sie gestern ausdrücklich zugelassen. Onlinedurchsuchungen sind zur Abwehr konkreter Terrorgefahren künftig möglich. Das ist die politische Wirkung des Urteils. In der Sache bekommt Innenminister Wolfgang Schäuble also weitgehend das, was er wollte. Seinen Gesetzentwurf muss er nicht wesentlich umschreiben. Die Kläger um FDP-Mann Gerhart Baum dürfen sich nur freuen, dass sie das maßlos formulierte NRW-Gesetz gestoppt haben. Aber das war nun wirklich keine Überraschung.

Doch nicht alles, was verfassungsrechtlich gerade noch möglich ist, muss man auch umsetzen. Für eine bürgerrechtliche Debatte ist es nicht zu spät. Nach wie vor gibt es keine zwingenden Argumente, dass die Polizei den heimlichen Zugriff auf Computerfestplatten braucht. Für eine wirksame Terrorabwehr würde es genügen, dass sie E-Mail-Verkehr und Telefonate auch überwachen kann, wenn diese verschlüsselt im Internet geführt werden. Das war bisher die Linie von Justizministerin Brigitte Zypries. Mal sehen, ob sie weiterhin daran festhält.

Zwar waren gestern alle mit dem Karlsruher Urteil zufrieden. Rechtlich hat sich das Gericht aber sehr weit vorgewagt. Es tut zwar so, als hätte es nur ein schickes neues Unterkapitel für das altbekannte Persönlichkeitsrecht präsentiert. Vielmehr ist an diesem Grundrecht aber alles neu und anders, als es im Grundgesetz steht. Für präventive Eingriffe in Computer sind die Hürden künftig höher als bisher. Für Computer, die zu Hause stehen, wurden im Gegenzug die teilweise strengeren Restriktionen aus der "Unverletzlichkeit der Wohnung" ausgehebelt.

Das geht zu weit. Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es, die Grundrechte des Grundgesetzes auszulegen und zu wahren, aber nicht, neue zu erfinden.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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