Kommentar Laufzeitverlängerung: Der Beginn der Konterrevolution

Wer die Atomkraftwerke länger laufen lassen will, muss als nächstes den Ausbau der erneuerbaren Energien stoppen - beides zusammen geht nicht.

Das war die historische Leistung des rot-grünen Atomkonsenses mit der Energiewirtschaft: Ein Thema, das die Gesellschaft wie kein zweites spaltete, wurde Ende der 90er Jahre allseits befriedet. Das ist nun vorbei. Mit den gestern beschlossenen Atomgesetzen sind die Gräben nicht nur wieder aufgerissen worden, sie sind tiefer als je zuvor.

Dies liegt an der Systemfrage. Bereits heute laufen sieben Atomkraftwerke zu viel in Deutschland, weshalb im ersten Halbjahr 2010 rund 11 Milliarden Kilowattstunden ins Ausland exportiert werden mussten. Wer die Atomkraftwerke länger laufen lassen will, muss deshalb als Nächstes den Ausbau der erneuerbaren Energien stoppen - beides zusammen geht nicht. Und deshalb sind nicht nur die Interessen einer grünen Klientel betroffen, sondern auch die Interessen des bayrischen Bauern, der auf Solarstrom gesetzt hatte.

Wie tief der Graben ist, zeigt schon die aggressive Art, mit der die Regierung ihre neue Atomgesetze durchpeitschte. Schwarz und Gelb unternahmen nicht einmal den Versuch, die Stringenz ihrer Politik zu erläutern - geschweige denn den Versuch, im anderen Lager um Verständnis zu werben.

Immerhin hat die Union wieder Profil gewonnen: Die Verlängerung der AKW-Laufzeiten ist Konservatismus pur - dahinter steht eine Art von Verständnis, nach dem die Produktionsmittel in den Händen der herrschenden Energieversorger zu konzentrieren sind und eben nicht in die Hände des Volkes gehören. Dank des rot-grünen Erneuerbare-Energien-Gesetzes wurden die Produktionsmittel von oben nach unten umverteilt, die Energieversorgung demokratisiert.

Mit jeder neuen Solaranlage, jedem neuen Biomassekraftwerk wird die Marktmacht der vier großen Energiekonzerne untergraben und damit deren gesellschaftliche Deutungshoheit aufgeweicht. Nach dem Verlust von 16 Prozent Marktanteil für die traditionelle Energiebranche musste der Demokratisierung der Energiewirtschaft ein Riegel vorgeschoben werden. Also Solarstromvergütung runter, AKW-Laufzeiten rauf.

Die gestern verabschiedeten neuen Atomgesetze sind auch nur der Anfang einer umfangreichen Neujustierung in der extrem komplexen Energiepolitik. Angela Merkel feiert diese als Revolution. Und das zu Recht: Schließlich führt sie diese Konterrevolution an.

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Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.

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