Kommentar Köhler-Rücktritt: Der beleidigte Präsident

Für diese Zeiten regieren die falschen Leute mit dem falschen Programm. Insofern ist Köhlers beispielloser Rückzug das vorerst letzte und stärkste Symptom der Auflösung von Schwarz-Gelb.

Der Rücktritt von Horst Köhler macht plastisch, in was für einem zerrütteten Zustand sich die Regierung befindet. Wenn zum zweiten Mal in der bundesdeutschen Geschichte ein Präsident hinschmeißt, geht es nicht allein um die Frage, ob Köhler die Kritik an seinen Äußerungen zum Krieg unangemessen fand.

Denn diese Begründung wirkt allzu beleidigt, sie überzeugt nicht. Mit seiner Einlassung zu Militäreinsätzen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands vertrat Köhler eine Linie, die im vom Parlament beschlossenen Weißbuch zur Sicherheitspolitik steht. Man kann sie mit Recht für verwerflich halten. Köhler aber beging auf dem verminten Feld von Krieg und Auslandseinsätzen lediglich den Fehler, auszusprechen, was politischer Konsens ist - was sich aber niemand zu sagen traut. Kritik hätte er leicht aussitzen oder eben offensiv kontern können.

Wofür also steht dieser Rücktritt? Zunächst drückt sich in ihm Köhlers emotionale, nahezu unpolitische Haltung zum - zumindest nominell - höchsten Amt im Staate aus. Er schleudert der Welt entgegen: "Wenn ihr mich nicht mehr wollt, macht euren Kram doch allein!" Anstatt sich zu positionieren, wirft Köhler hin. Dieser mangelnde Respekt vor dem Amt, um mit Köhler zu sprechen, ist einer der Gründe dafür, dass einen der Rücktritt fassungslos zurücklässt.

Gleichzeitig macht es den Rückzug bedeutsam, auch wenn das überschätzte Präsidentenamt keine Gestaltungsmacht birgt. Denn Planlosigkeit und Überforderung kennzeichnen auch Mitglieder der schwarz-gelben Regierung. Ob es nun Merkels kalkulierte Profillosigkeit ist, ein dilettierender Wirtschaftsminister oder das hilflose Umherirren der FDP - Schwarz-Gelb vermittelt einen mitleiderregenden Eindruck. Die Programmatik der Koalition wirkt in der historischen Krise, in der wir uns nach wie vor befinden, realitätsfremd und gestrig, die Neupositionierung unglaubwürdig.

Es bleibt dabei: Für diese Zeiten regieren die falschen Leute mit dem falschen Programm. Insofern ist Köhlers beispielloser Rückzug das vorerst letzte und stärkste Symptom der Auflösung von Schwarz-Gelb. Union und FDP haben Köhler gemeinsam ins Amt gehoben, sein Rücktritt könnte den Abschied dieser Konstellation einläuten. Und er könnte für ein nächstes Novum in der deutschen Geschichte sorgen. Denn wenn ein Mann hinschmeißt, darf in der Politik oft eine Frau aufräumen.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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