Debatte IT-Gipfel: Die Angst vor dem User

Wenn die Bundesregierung zum "IT-Gipfel" ruft, geht es nur um Standortpolitik. Besser wäre es, endlich über die Chancen der Informationsgesellschaft zu debattieren.

Nach den US-Wahlen staunten viele über die Onlinekampagne Barack Obamas, die das Potenzial besitzt, die Politik nachhaltig zu verändern. In der Frage, wie sich die Politik den Bürgern öffnen kann, kann Deutschland viel daraus lernen. Das Potenzial für mehr Transparenz ist hierzulande zwar da. Doch die wenigen eDemokratie-Projekte, die in den letzten Jahren entstanden sind, besitzen immer noch Leuchtturmcharakter. Der Wille, politische Prozesse mit Hilfe des Internets transparenter zu gestalten, fehlt leider: Da hilft auch kein Video-Podcast der Bundeskanzlerin, die jeden Samstag eine kurze Internetrede an die Nation vom Teleprompter abliest, aber nicht zum Zuhören bereit ist.

Von dieser Haltung zeugt auch der dritte "IT-Gipfel", den die Bundesregierung am Donnerstag mit Vertretern der IT-Wirtschaft und ausgewählten Wissenschaftlern an der TU Darmstadt veranstaltet. Schon mit ihrem ersten IT-Gipfel 2006 hatte die Bundesregierung die Fachwelt irritiert. Statt eine offene Debatte über wichtige Fragen rund um die Informationsgesellschaft zu führen, berief sie eine geschlossene Veranstaltung ein, zu der selbst der Bundesdatenschutzbeauftragte nicht eingeladen wurde. Viele relevante gesellschaftliche Gruppen, die teils schon seit Jahrzehnten in diesem Themenfeld aktiv sind - vom Chaos Computer Club über die Gewerkschaften bis hin zu den Verbraucherschutzzentralen -, mussten draußen bleiben. Das wird auch heute nicht viel anders sein.

Der IT-Gipfel zeigt, wie die Bundesregierung das Thema Netzpolitik versteht - rein standortpolitisch, nach dem Modell der alten Deutschland-AG. So präsentiert die Regierung dort gerne Großprojekte, die in Zusammenarbeit mit der IT-Wirtschaft entstanden sind, deren gesellschaftliche Auswirkungen aber selten untersucht werden. Hinzu kommen Themen, die zeigen, dass bei vielen Politikern immer noch die Angst die Agenda bestimmt - die Angst vor Jugendlichen, die neugierig im Netz unterwegs sind; vor Terroristen und Pädophilen, die hier angeblich einen sicheren Rückzugsort haben (aber auch noch nie so gut aufzuspüren waren); vor neuen Unterhaltungsformen, die als "Killerspiele" diskreditiert werden; und ganz generell vor dem Neuen, dem Unbekannten, dem Netz.

Dabei integrieren heute immer mehr Menschen das Internet in ihr Leben. Deshalb wäre es an der Zeit, nicht nur über die Risiken, sondern auch über die Voraussetzungen und Chancen der digitalen Gesellschaft zu reden. So haben inzwischen viele Menschen in Deutschland Zugang zum besonders schnellen Breitband-Internet (wie DSL). Doch es gibt immer noch viele weiße Flecken auf der Landkarte. Nicht nur in ländlichen Regionen, auch in Großstädten wie Berlin muss der Nutzer vielerorts mit dem weitaus langsameren und deutlich teurerem ISDN-Zugang vorliebnehmen. In der heutigen Zeit bedeutet das, von gesellschaftlicher Teilhabe, von Bildungs- und Informationsmöglichkeiten ausgeschlossen zu sein.

Die Internetanbieter sagen: zu teuer. Die Bundesregierung aber setzt immer noch auf den Markt, der den Bedarf regeln soll. Dabei gehört der Internetzugang heute längst zur Grundversorgung - und damit zu einer vernünftigen Infrastrukturpolitik. So, wie sie Straßen und Autobahnen finanziert, müsste die Bundesregierung auch hier die Entwicklung unterstützen. Darüber hinaus sollten Kommunen - als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge - ihren Bürgern einen Grundzugang zum Netz gewährleisten, wie das bereits in einigen Ländern geschieht. Kommunale WLAN-Netze böten sich dafür an; eine Grundversorgung mit Internet aus der Luft würde einen Innovationsschub bewirken. So könnte Deutschland der Sprung zur mobilen und inklusiven Internetgesellschaft gelingen.

Stattdessen rufen die flächendeckende Vorratsdatenspeicherung von Verbindungen, die Pläne für heimliche Onlinedurchsuchungen von Computern und die vielen Datenschutzskandale der letzten Wochen bei den Bürgern Ängste hervor. Wenn sich unbescholtene und unverdächtige Menschen aber aus Angst vor einem "Big Brother"-Staat nicht mehr trauen, das Netz unbesorgt zu nutzen, wie Umfragen nach der Einführung der Vorratsdatenspeicherung gezeigt haben, dann ist das ein Skandal - und schädlich für den IT-Standort Deutschland ohnehin.

Wie beim privaten Gespräch zu Hause im Schlafzimmer, im Park oder im Café braucht es auch in der digitalen Gesellschaft freie und anonyme Orte der Kommunikation. Es muss Bereiche geben, in denen der Staat nichts verloren hat. Ein nationaler IT-Gipfel muss sich damit befassen, wie eine freie und offene Informationsgesellschaft aussehen soll. Wenn er das nicht tut, geht er an den gesellschaftlichen Realitäten vorbei.

Außerdem muss Deutschland mehr Open Source wagen. Vor einigen Jahren gehörte die Bundesregierung bei der Förderung von Freier Software noch weltweit zu den Vorreitern. Doch in den letzten Jahren ist es darum sehr still geworden. Die Innovationen kommen aus der Gesellschaft. So gehört die deutschsprachige Wikipedia weltweit zu den aktivsten Communitys, die freies Wissen für alle schafft. Das Projekt "Open Street Map" entwickelt freies Kartenmaterial, und in vielen Städten bauen Freifunk-Communitys freie WLAN-Netze. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Vernetzung von Bürgern sowie zum Abbau der digitalen Kluft auf lokaler Ebene.

Eine Vielzahl an freien Softwareprojekten geht auf die große Entwicklerbasis in Deutschland zurück. Und unzählige Internetnutzer veröffentlichen ihre Blogs, MP3s, Videos und andere kulturelle Erzeugnisse unter Creative-Commons-Lizenzen, die das Weiterverwenden und Remixen erlauben. Doch dieses Engagement wird leider nicht als bürgerschaftliches Engagement anerkannt, geschweige denn gefördert. Der Staat hat die Möglichkeit, den Weg in die digitale Gesellschaft zu weisen. Staatliche Informationsangebote gehören deshalb selbstverständlich mit offenen Lizenzen ausgestattet. Informationsfreiheit muss nicht nur durch Gesetze garantiert, sondern aktiv praktiziert werden, etwa durch die Veröffentlichung von Regierungsdokumenten und -daten im Netz und Partizipationsmöglichkeiten auf allen Ebenen.

Wünschenswert wären auch medienkompetente Politiker, die das Netz in ihr Leben integriert haben. In der Realität kokettieren viele von ihnen leider immer noch damit, dass sie sich Texte aus dem Internet gerne ausdrucken lassen. Die Generation Internet findet so etwas aber nicht lustig - und einen nationalen IT-Gipfel, der sorgsam ausgewählte Arbeitsgruppen hinter geschlossenen Türen tagen lässt, schon gar nicht. Vielmehr braucht es einen nationalen Internet-Gipfel, der mit allen beteiligten Bürgern die Herausforderungen der digitalen Zukunft angeht und fragt, wie diese menschenwürdig und gerecht gestaltet und nachhaltig entwickelt werden kann. Dazu braucht es auch Strukturen und Prozesse, die einer Informationsgesellschaft entsprechen und würdig sind.

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